„Klein, aber kraftvoll“ – New Work Impulse, Bottom up

von Antje Weidling 

Unsere Reihe verschiedener Einblicke in das Forschungs- und Buchprojekt „New Organizing“ von Simon Weber Friends nähert sich ihrem Ende. Am 1. Oktober ist das Buch erschienen und hat inzwischen viele Leser*innen gefunden.

In diesem Beitrag soll es nicht um eine Fallstudie gehen, sondern um ein Fundstück, dem wir auf unserer Forschungsreise wiederholt begegnet sind: kleine Veränderungsimpulse von Bottom-up. Diese Ansätze von New Work waren auf den ersten Blick so unspektakulär, dass es für Unternehmen fraglich war, ob sie sich im Zusammenhang mit diesem Trend zeigen wollen oder nicht.

New Organizing – Empirie trifft Theorie

Was passiert, wenn größere Unternehmen Konzepte der Organisationsgestaltung einführen, die gerade im Trend liegen? – Mit Blick auf den Abschluss unseres gleichnamigen Forschungs- und Buchprojekts laden wir ein zu einer Expedition in die Welt des „New Organizing“. Wie auch im Herausgeberband werden die Beitragsautor:innen regelmäßig  – bis zur Veröffentlichung im Oktober – Einblicke in die Innenwelt von Konzernen und größeren Organisationseinheiten geben, die sich mit der Einführung neuer, „agiler“ Methoden bis hin zu neuen Organisationsformen befassen. Ergänzend werden Theorie- und Forschungshintergründe präsentiert und vor allem Ausblicke gegeben, worauf Führung und Beratung zukünftig zu achten haben, wenn sie neue Organisationsansätze parallel zu vorhandenen Konzernstrukturen wirksam einführen möchten.

Das Plädoyer gleich an dieser Stelle: Das Potenzial eines Veränderungsimpulses liegt nicht in seiner Größe, sondern darin, wie sich eine Organisation dazu stellt. 

Aber der Reihe nach.
Das Besondere und Typische dieser kleinen Vorstöße, Lösungsansätze und Experimente mit New Work war, dass sie keinen Vorgaben von oben folgten. Sie wurden ganz organisch von interessierten Mitarbeiter*innen eingebracht und mit erstaunlicher Hartnäckigkeit dort vorangetrieben, wo sie ihre Wirkung direkt entfalten konnten. Auch das methodische Know-How kam von ihnen. Das Interesse an der Veränderung, am Ausprobieren eines anderen Vorgehens, der Suche nach besseren Lösungen waren dabei entscheidend, nicht der Name der Methode. 

Je nach Unternehmen nahm die Organisation dabei eine abwehrende, ignorierende, eine gewährende oder sogar unterstützende Rolle ein.

Klar geregelte Abläufe und Strukturen nicht nur in Konzernen können eine Barriere für Veränderung sein. Sie sorgen für Verlässlichkeit, aber engen zugleich Spielräume ein. Diese Strukturen zu umgehen, Lücken zwischen ihnen zu finden, beschrieben langjährige Führungskräfte (in einem anderen Projekt interviewt) bei selbst initiierten Veränderungen als die eigentliche Herausforderung.

Wie in mehreren Beispielen dieser Reihe ( z.B. „Schön locker machen…“ Schein / Vogel; „Die Milch kriegst’ nicht mehr aus dem Kaffee…“ Walser / Wolfig / Scheer) zu sehen ist, war der Mut der Organisation – sprich der Führung -, diesen Initiativen Spielraum und Rückendeckung zu geben, entscheidend für deren Gedeihen im Sinne einer Weiterentwicklung des Unternehmens. 

Wir haben aber auch den umgekehrten Fall gesehen, in dem das Potenzial dieser Initiativen nicht zur Entfaltung, sondern zum Erliegen kam, deren Akteure sogar das Unternehmen verließen. Entdecken Sie in Ihrer Organisation Ansätze von New Work von Bottom-up, unterschätzen Sie diese nicht in ihrem Potenzial und machen Sie daraus ein „New Organizing“. Neben den sachlichen Lösungen, die auf neuen Wegen erarbeitet werden können, können sich weitere positive Effekte ergeben: 

1. Initiative, Identifikation und Verantwortungsbewusstsein

Initiative aus den Reihen der Mitarbeiter*innen und Führungskräfte ist ein wertvolles Gut. Jede*r, der Führungserfahrung machen durfte, weiß wie zäh es sein kann, ein Team für Veränderungen zu mobilisieren. Wie anders gestaltet sich gemeinsame Arbeit, wenn ein Team mitdenkt, mitzieht oder gar eigene Initiative einbringt. New Work liefert dafür Werkzeuge und Methoden und einen entsprechenden Spirit. Das war in den Interviews deutlich zu beobachten.

Werden solche Bottom-up-Initiativen aufgenommen und unterstützt, wird dieser positiven Energie der Boden bereitet und sie nutzbar gemacht. So kann eine höhere Identifikation mit dem eigenen Projekt entstehen, eine stärkere Wachsamkeit und Verantwortung für dessen Gelingen. 

2. Kultivierte Lern- und Veränderungsbereitschaft 

Wer in einem Unternehmen Veränderungsimpulse nicht nur Top-down erlebt, sondern auch selbst ein- und voranbringen kann, wird ein anderes Verhältnis zum Thema Change bekommen: Zur zwangsläufig mitzutragenden Steuerung von oben tritt die eigene Mitgestaltung hinzu. Die Erfahrung der Mitarbeiter*innen, dass auch gute Entscheidungen oft schwer umzusetzen sind, kann dazu beitragen, dass schwierige Veränderungsprozesse loyaler mitgetragen werden. 

3. Nutzen der Überschaubarkeit

Bei der Wahrnehmung von Veränderung spielt nicht nur eine Rolle, ob man den Impuls dazu gibt oder auf ihn reagieren muss, sondern auch deren Dimension.

Kleine evolutionäre Veränderungen, die tatsächlich umgesetzt werden und ihre Wirkung entfalten können, geben dem Thema Veränderung „Menschenmaß“ und eine positive Bewertung. Sie verursachen nicht die Ängste und den Widerstand, die in Organisationen entstehen, die umfassende Change-Prozesse durchlaufen. Fehlende Einblick in die großen Zusammenhänge, Unsicherheit über Konsequenzen, Sorge vor persönlichen Nachteilen oder nicht zu bewältigenden Herausforderungen kosten viel Energie.

Bedenkt man zudem, dass solche Prozesse neben dem laufenden Alltagsgeschäft zu bewältigen sind, wird der Vorzug von überschaubaren Initiativen aus den eigenen Reihen noch manifester. Werden sie als Experimentierfeld klar benannt, kann hier getestet und geübt werden, was funktioniert, ohne dass Kollateralschäden zu befürchten sind. Fehler können gemacht und es kann daraus gelernt werden.

4. Bindung von Mitarbeiter*innen mit Potenzial

Initiativen von unten Raum zu geben heißt nicht nur, deren Potenzial zu nutzen, sondern auch Mitarbeiter*innen mit Potenzial zu binden und zu fördern. 

Werden hingegen Initiativen ausgebremst oder ignoriert, verzichtet man nicht nur auf deren positive Energie, sondern verkehrt sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine negative und riskiert, wertvolle Mitarbeiter*innen zu verlieren, die mehr können und wollen, als einfach so weiterzumachen.

Die Konsequenz: Es wird immer Veränderungsimpulse von oben geben müssen, aber den Initiativen aus den eigenen Reihen Raum zu geben lohnt sich. 

Um diese Potenziale aber zu erschließen, braucht es ein anderes Verständnis von Führung und zwar sowohl seitens der Mitarbeiter*innen, als auch der Führungskräfte selbst. Es geht hier nicht um klare Ansagen von oben, sondern um das Moderieren, das Gestalten von Entscheidungsprozessen, Erkennen und Ansprechen von offenen Fragen, den Umgang mit Gruppendynamik und Konflikten. Dazu gehört auch, für Offenheit und Transparenz zu sorgen und klar zu benennen, wo die Grenzen der Spielräume zeitlich und inhaltlich liegen. Es ist das Steuern eines Prozesses, bei dem Vorgehen und Ergebnis nicht von vornherein feststehen, sondern gemeinsam Schritt für Schritt erarbeitet werden. Das ist ein anderes Arbeiten und Führen als das, was viele gelernt haben.

Macht es da nicht Sinn, das anhand von kleinen Lösungsinitiativen im Unternehmen zu üben? Unser Team von gut 40 Forscher*innen und unseren Herausgebern war auf diesem Experimentier- und Lernfeld selbst unterwegs. Dabei ist nicht nur unser Buch entstanden, sondern es wurden auch viele wertvolle Erfahrungen für unsere Arbeit in und für Unternehmen gemacht. 


Mehr zum Thema findet sich in:

Weidling, A.: Darkside of the moon – Über Unternehmen, die hier nicht porträtiert wurden. (K)eine Fallstudie
In: Groth, T., Krejci, G., Günther, St. (2021) (Hrsg.): New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann. Heidelberg: Carl Auer – Kap. II.14

Das Buch „New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann“ ist am 1. Oktober 2021 im Carl-Auer Verlag erschienen. Bestellungen sind hier möglich. Am 1. Oktober 2021 fand außerdem unsere Online-Tagung zum Buch statt. Weitere Informationen gibt es hier.