von Timm Richter
Führungskräfte, die eine disziplinarische Verantwortung für Mitarbeitende haben, fragen sich, wie sie die Beziehung zu ihren Mitarbeitenden gelingend gestalten können. Genau darum ging es auch in einem Coaching-Modul, das ich vor kurzem im Rahmen einer Führungsentwicklung gegeben habe. Dort haben wir zum Start des Seminars diskutiert, wie sich Coaching, Training und Führung voneinander abgrenzen – Tätigkeiten, die von einer heutigen Führungskraft erwartet werden. Alles drei in einem Augenblick gleichzeitig geht irgendwie nicht, also hilft es, Unterschiede zwischen diesen drei Beziehungsmodi zu erkennen. Für eine erste (vorläufige und grobe) Differenzierung kann man fragen, wem Probleme und Lösungen gehören. Dann ergibt sich folgendes Bild:

Coaching
Problem und Lösung gehören dem Coachee. Nicht umsonst haben die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer gesagt, dass Coaching Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet. Irgendetwas stört den Coachee, er oder sie entscheidet, woran gearbeitet werden soll. Und damit hat der Coachee die Deutungshoheit über die Problemlage. Die Aufgabe des Coaches ist es, dem Coachee zu helfen, Klarheit über das Problem zu gewinnen. Und der Coachee entscheidet auch darüber, wie er oder sie das Problem lösen möchte, was er oder sie als nächstes machen möchte. Der Coach unterstützt wiederum beim (Er)finden neuer Optionen, ist maximal „Angebotskellner“ (laut Gunther Schmidt) in dem Wissen, dass der Coach es nicht besser weiß als der Coachee, was eine gute Lösung ist. Diese Erkenntnis, dass man es wirklich nicht besser weiß, ist eine große Herausforderung für Führungskräfte, die coachen wollen. Und manche missverstehen Coaching dergestalt, dass sie versuchen, ihre Lösungsideen so zu „verkaufen“, dass ihre Überzeugung, es besser zu wissen, nicht auffällt. Aber allzu plumpe Versuche des „Hast du schon mal x probiert“, bekommen als Antwort „Ja, hab ich, funktioniert nicht, hast du, lieber Coach, keine besseren Ideen?“. Und schon passt die Beziehungsgrundlage des Coachings nicht mehr, denn nun steht der Coach unter Rechtfertigungssdruck, dabei sollte in einer Coachingbeziehung der Coachee immer mehr wollen als der Coach, damit der Coach dem Coachee genau dabei helfen kann.
Training
Es gibt viele Situationen, in denen eine Führungskraft doch manches besser weiß als Mitarbeitende, z.B., weil sie über mehr Erfahrung verfügt. Es ist nicht überall in Mode, so etwas zu behaupten, aber wenn man drüber nachdenkt: Von wem möchtet ihr geflogen werden (erfahrene Flugkapitänin oder Pilot auf Erstlingsflug), von wem die Haare geschnitten bekommen (Meister oder Auszubildene erstes Lehrjahr) oder wer sollte das Design eurer Webseite machen (die Seniorin oder der Junior)? Es gibt also durchaus Wissen, das vermittelt werden kann. In einem solchen Fall handelt es sich um eine Trainingsbeziehung. Der Trainee entscheidet sehr wohl noch, dass er etwas lernen möchte, ihm gehört also das Problem, es braucht die Bereitschaft des Trainees, dass er oder sie etwas lernen möchte. Dem Trainer wird hingegen zugeschrieben, dass er oder sie über Lösungswissen verfügt, das vermittelt werden soll. Bewährte Lösungen werden (an)trainiert. Einen Trainer holt man, weil man hofft, dass er oder sie es besser weiß, also Lösungen hat. Und wenn es von beiden Seiten akzeptiert ist, dass es sich um eine Trainingsbeziehung handelt, dann lässt sich mit dieser Form der Asymmetrie gut arbeiten, dann erwartet der Trainee zu Recht Lösungsvorschläge des Trainers, dann wird zu recht dem Trainee auch zugestanden, beim Üben Fehler zu machen, d.h., dass das eigene Tun (Ist) noch nicht ganz zum vom Trainer definierten Soll passt.
Führung
Die Grundidee der formalen disziplinarischen Führung ist es, dass man erwarten kann, dass Mitarbeitende (in Maßen) Anweisungen der Führungskraft folgen. Wie auch immer eine Führungskraft im Innenverhältnis zu Mitarbeitenden agiert, im Außenverhältnis wird die Führungskraft für Problem und Lösung verantwortlich gemacht, gerät sie unter Rechtfertigungszwang (oder wird befördert), wenn es in ihrem Bereich nicht (sehr gut) läuft. Eine Führungskraft muss relevante Fragestellungen identifizieren, also Probleme erkennen, und dann lösen – egal wie.
Der am stärksten erwartbare Modus für Führungskräfte in Organisationen ist der Führungsmodus – schließlich werden sie auch auch so genannt und heißen nicht Trainer oder Coach. Sie bekommen Probleme mit der Organisation, wenn ihr Laden, also das, wofür sie verantwortlich sind, z.B. die Arbeit ihrer ihnen disziplinarisch Unterstellten, nicht läuft. Trainings- und Coaching-Modi kommen zusätzlich hinzu in der Erwartung, dass sich dies (erst) langfristig auszahlt. Die Langfristigkeit der Vorteile und die (vermeintlich) erhöhte Unsicherheit über Ergebnisse macht es für eine Führungskraft schwierig, in den Trainings- oder Coaching-Modus zu wechseln. Beim Training wird viel Zeit investiert und mögliche Fehler zum Lernen „provoziert“- was man sich sparen würde, wenn man es schnell selber macht. Beim Coaching hat man noch mehr vermeintliche Kontrolle aus der Hand gegeben, gibt keine Anweisungen mehr und ist darauf angewiesen, dass Mitarbeitende als Coachees Problem und Lösung selbst definieren. Insofern sollten sich Führungskräfte bewusst entscheiden, wie weit sie jeweils bei welchen Mitarbeitenden und in welchen Situationen gehen wollen, denn sehr kontraproduktiv kann es werden, wenn sie Coaching ankündigen, aber dann immer Lösungen vorgeben oder Training ankündigen, aber keine Fehler erlauben.
Es gibt übrigens einen Zusammenhang zwischen diesen Beziehungsmodi und der Form von Delegation. Wenn man einen bestimmten Aufgabenbereich vollständig an eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter delegiert, dann ist diese Person dafür verantwortlich, in diesem Bereich Probleme zu identifizieren und Lösungen zu finden. Als Führungskraft kann man – solange man die Delegation nicht verändert – nur noch coachend eingreifen, d.h. dann helfen, wenn man gefragt wird und dann beratend bei der Lösungsfindung beistehen. Würde man hier direktive Vorgaben setzen, so würde der Grad an Delegation zurückgehen und die Beziehung würde stärker die Form eines Trainings annehmen. In der gleichen Logik werden Führungskräfte von ihren Vorgesetzten für Problem und Lösung ihres Führungsbereiches verantwortlich gemacht, können also auch wieder „nur“ von ihren Vorgesetzten gecoached werden.
Diese Trennung der Modi Coaching, Training und Führung ist analytisch wie beschrieben sehr eindeutig, in der Praxis verschwimmen sie jedoch. Die Diskussion im besagten Seminar zeigte, dass man gleichwohl mit dieser Unterscheidung typische Gelingens- und Misslingenserfahrungen differenzierter in ihrer Dynamik verstehen konnte. So gab es unter anderem folgende Einwürfe:
- Führungskräfte sollen doch ihre Mitarbeitenden machen lassen und nicht alles selbst entscheiden. Wie passt das dazu, dass die Führungskraft für Problem und Lösung verantwortlich ist? Im Außenverhältnis bleiben Führungskräfte für Problem und Lösung verantwortlich, lediglich im Innenverhältnis wird delegiert. Genau deswegen ist jede Form von Delegation, die dann der Führungsbeziehung Formen von Training und Coaching beimischt, risikoreich. Sie ist aber extrem wertvoll, wenn sie gelingt, denn dann können Führungsleistungen verteilt werden.
- Der Coach hat doch auch Einfluss und eine Meinung, der führt doch auch und macht Vorschläge für Lösungen. Das stimmt, allein die per Rolle zugeschriebene Möglichkeit, den Fokus der Aufmerksamkeit zu lenken, ist ein mächtiges Führungsinstrument (siehe Richter/Groth: Wirksam führen mit Systemtheorie). Wer fragt, der führt auch, alle Beziehungsphänome sind stets zirkulär miteinander verknüpft. Gleichwohl bleibt es entscheidend für die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des Coachings, inwieweit sich der Coachee sich als selbstbestimmt in Bezig auf Problem und Lösung wahrnimmt.
- Was mache ich, wenn ich glaube, dass mein Mitarbeiter ein Coaching braucht, er oder sie das aber nicht sieht oder nicht will? Coaching kann man nicht erzwingen. Als Führungskraft kann man es lediglich anbieten, ggf. auch durch eine dritte Person (gleiches gilt für Training). Worauf man als Führungskraft allerdings bestehen kann, ist, dass Mitarbeitende ihre Aufgaben den Erwartungen entsprechend erledigen. Und wenn das nicht stimmt, kann man mit Mitarbeitenden in Klärung gehen, wie sie mit diesem Umstand umgehen wollen.
- Aber was, wenn ich es als Coach wirklich besser weiß? Klar, dass kann sein, vielleicht aber auch nicht. Wer dem Coachee solche – meist sehr gut gemeinten – Ratschläge gibt in der Erwartung, dass sie angenommen werden, verstößt gegen die Beziehungsgrundlage des Coachings. Sowohl beim Coaching als auch beim Training hat der Coachee oder Trainee das Recht auf eigene (vermeintliche) Fehler.
- Der Trainer stellt doch fest, was der Trainee nicht kann, also gehört dem Trainer doch auch das Problem, oder? Das stimmt insofern, als dass der Trainer Elemente identifiziert, die seiner Meinung nach einer Lösungumsetzung (in seinem Sinne) entgegenstehen. Diese werden dann für die Lösungsfindung problematisiert. Dies passiert allerdings in dem Kontext, dass sich der Trainee dafür entschieden hat, ins Training einzusteigen – und dies mit einem möglicherweise allgemeineren Problemverständnis. Der Grund für das Training als das generelle Problem, das gelöst werden soll, gehört weiterhin dem Trainee.
- Ganz oft entscheidet doch die Führungskraft oder die Organisation über ein Training, wieso gehört das Problem dann dem Trainee? Auch das ist oft beobachtbar …und mit ein Grund, warum Trainings bei manchen Teilnehmenden nicht wirken (es gibt natürlich auch andere). Wenn die Teilnehmenden von Trainings kein Problem haben, das sie durch das Training lösen wollen, dann bleibt für sie lediglich das Problem, dass sie Ärger bekommen, wenn sie nicht am Training teilnehmen. In solchen Fällen entsteht gar keine Tainingsbeziehung.