Das Projekt „New Organizing“: Hintergründe

Torsten Groth, Gerhard Krejci, Stefan Günther 

New Organizing – Empirie trifft Theorie

Was passiert, wenn größere Unternehmen Konzepte der Organisationsgestaltung einführen, die gerade im Trend liegen? – Mit Blick auf den Abschluss unseres gleichnamigen Forschungs- und Buchprojekts laden wir ein zu einer Expedition in die Welt des „New Organizing“. Wie auch im Herausgeberband werden die Beitragsautor:innen regelmäßig  – bis zur Veröffentlichung im Oktober – Einblicke in die Innenwelt von Konzernen und größeren Organisationseinheiten geben, die sich mit der Einführung neuer, „agiler“ Methoden bis hin zu neuen Organisationsformen befassen. Ergänzend werden Theorie- und Forschungshintergründe präsentiert und vor allem Ausblicke gegeben, worauf Führung und Beratung zukünftig zu achten haben, wenn sie neue Organisationsansätze parallel zu vorhandenen Konzernstrukturen wirksam einführen möchten.

Zu Beginn unserer Reihe möchten wir einige Hintergründe zum SWF-Projekt geben: Getragen von der Neugierde, wie New Work, Agilität und die vielfältigen Varianten innovativer Arbeitsmodelle denn konkret in größeren Organisationen umgesetzt werden, versammelten sich mehr als 40 Berater:innen  – allesamt Netzwerkpartner:innen oder Almuni von SWF – und führten in 13 größeren, namhaften Unternehmen qualitative Interviews, um „hinter die Kulissen“ zu schauen. Ein besonderer Fokus lag auf den praktischen Auswirkungen der „agilen Interventionen“. Herausgekommen ist – soviel vorab – eine spannende Sammlung an Einführungsstrategien: von top-down über bottom-up, bis hin zu Insellösungen oder scheinheiligen Implementierungen von neuen Organisationsformen.

Wie erforscht man „New Organizing“? 

Folgende Fragen wurden den Forschungsteams für ihre Interviews in den Unternehmen mit auf den Weg gegeben.

  • Was ist die Leitidee, die Erwartung, mit der neue Organisationsformen eingeführt werden?
  • Wie wird der neue Ansatz „verstanden“ und auf welcher Ebene wird dieser implementiert: als Organisationsänderung, als Führungsänderung, Team- und Projektveränderung?
  • Welche Wirkungen sind hierbei zu beobachten bzw. welche Resonanzen erzeugt der Eingriff in die Praxis? 
  • Welche Funktion übernehmen Führung, HR-Abteilungen und/ oder Beratungen im Prozess der Implementierung?
  • Generell, kommt es zu einer Transformation „weg von der alten, hin zur neuen Organisationsform“? – Wenn ja, wenn nein (oder auch: wenn halb, wenn anders als gedacht, wenn oberflächlich-scheinheilig), wie verläuft der Implementierungsprozess?
  • Zeigt sich eine Praxis, in der die positiven Erwartungen an „New Organizing“ in Erfüllung gehen, müssen die Ansprüche revidiert werden bzw. was folgt stattdessen?
  • Welche erfolgskritischen Aspekte in der Implementierung werden bislang übersehen bzw. müssten mehr Beachtung finden?

Die durch diese Fragen angestoßenen Erkenntnisprozesse werden in den folgenden Kurzbeiträgen der Autor:innen skizziert – ausführlich sind sie dann in Form von Fallstudien und kommentierenden Artikeln im Buch dargestellt.

Warum „Organizing“?

Ein paar Stichworte zum Titel „New Organizing“ und zur Auswertung: „Fachleute“ werden es ggf. sogleich erkannt haben. Der Begriff „Organizing“ ist bewusst gewählt. Er verweist auf zwei paradigmatische Ansätze in der Organisationsforschung, die für ein systemisches Verständnis von Organisationen und u. E. auch für die Erforschung neuer Organisationsansätze von höchster Relevanz sind. Einmal der Ansatz von Karl E. Weick und zum anderen der Ansatz von Henry Mintzberg. Mit dem Denken dieser beiden „Riesen“ der Organisationsforschung ist die Prämisse verknüpft, vermehrt auf die tägliche Praxis des Handelns und Entscheidens zu fokussieren, das sich in den Strukturen (Vorgaben, Abläufe, Organigramme) vollzieht. Deshalb spricht Weick vom „Organizing“ und Mintzberg vom „Managing“. Eine solche auf Empirie setzende Theorieanlage erscheint uns passend in einer Managementwelt, in der oft normativ argumentiert und damit suggeriert wird, wer sich neuen Ansätzen voll und ganz verschreibt, der sichere damit das Überleben des Unternehmens, und wer am Bewährten festhält, riskiere dieses. 

So einfach wollten wir es uns nicht machen, und so einfach stellen sich Veränderungsprozesse in der Praxis auch nicht dar. Es geht um ein komplexes, zuweilen auch paradoxes Nebeneinander von neuen Initiativen und bewährten Prozessen. Wer Organisationen in ihrer Komplexität kennenlernen möchte, sollte nicht nur auf die positiven Beispiele achten. Gerade in den Prozessen der Teilimplementierung, selbst im Vergessen von Führungsfragen, in der Nichtinanspruchnahme von Beratungsressourcen oder auch im scheinheiligen Umgang mit Neuerungen zeigt sich ein weites Feld der Erkenntnis über die (Un-)Tiefen der Organisation, das für erfolgreiche, zukünftige Wandlungsprozesse genutzt werden kann. 

Funktionale Methode statt Heilsbringersemantik

Will man im weitesten Sinne ergebnisoffen forschen, so bietet es sich zudem an, auf methodische Überlegungen zurückzugreifen, die Niklas Luhmann recht früh schon mit der Methode einer „funktionalen Analyse“ präzisiert hat. Eine solche Methode lädt dazu ein, alle wiederholt auftretenden Phänomene in den Kontext der Lösung von Problemen zu setzen: „Welche Probleme versuchen Organisationen zu lösen, die neue Organisationsformen einsetzen und auch welche Probleme versuchen sie zu lösen, wenn sie diese nur zögerlich oder auch nur scheinheilig einsetzen?“ Neue Organisationsformen sind – dies als Prämisse und auch Ergebnis unserer Forschung – per se keine „Heilsbringer“. Sie stellen zunächst Irritationen einer wie auch immer gearteten „funktionierenden Praxis“ dar. Zugleich sind sie Eingriffe in eine Praxis der Überlebenssicherung, in und mit der Unternehmen versuchen, am Markt zu bestehen. In diesem Streben kann „New Organizing“ für das eine Unternehmen ein wertvoller Impuls sein, für das andere eine mit Skepsis beobachtete Modewelle und für eine weiteres eine Ansammlung interessant klingender Tools, die im geschützten Rahmen auszuprobieren sind. Wie auch immer: Vorab kann und sollte bewusst nicht festgelegt werden, was als „richtig“ oder „falsch“ zu bewerten ist. 

Ein bekannter systemischer Leitspruch lautet: „Willst Du ein System kennenlernen, dann interveniere!“ – Ganz in diesem Sinn war das Projekt „New Organizing“ angelegt. Wer „Agiltät, Holacracy und Co.“  einführt, interveniert und lernt das eigene Unternehmen ganz anders kennen. Was Führungskräfte, Mitarbeitende und Berater:innen aus den „agilen Interventionen“ der letzten Jahre für ihre Zukunft lernen können, zeigen wir in den kommenden Wochen in dieser Reihe.

Im Folgebeitrag werden wir zunächst noch einen Schwenker zur Theorie machen und aufzeigen, warum es notwendig und sinnvoll ist, mit systemischer Organisationstheorie auf neue Organisationsformen zu schauen.   

Der Inhalt dieses Beitrags ist entnommen aus:   

Groth, T. Krejci, G., Günther, St. (2021): „New Organizing – Empirie trifft Theorie”. In: Dies (Hrsg.). New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann. Heidelberg: Carl Auer – im Erscheinen

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Das Buch „New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann“ erscheint Anfang Oktober 2021 im Carl-Auer Verlag. Vorbestellungen sind hier möglich. Am 1. Oktober 2021 findet außerdem unsere Online-Tagung zum Buch statt. Weitere Informationen gibt es hier.