Neue Organisationsdesigns treffen alte Veränderungsmuster

von Balz Schnieper

Das beforschte Unternehmen der Fallstudie «Speed is the Name of the Game» hat, wie viele andere Organisationen seiner Größe, in der Vergangenheit regelmäßig top-down die Aufbauorganisation angepasst. Im Zuge der agilen Transformation scheint es im gleichen Rhythmus und in gleicher Logik nun auch die Ablauforganisation und Entscheidungsprozesse top-down anpassen zu wollen. Dabei sind die eingeführten Modelle alles andere als “top-down”. Holacracy, Spotify Modell und SAFe geben sich im gleichen Tempo wie früher neue Organigramme die Klinke in die Hand. Kann das funktionieren?

New Organizing – Empirie trifft Theorie

Was passiert, wenn größere Unternehmen Konzepte der Organisationsgestaltung einführen, die gerade im Trend liegen? – Mit Blick auf den Abschluss unseres gleichnamigen Forschungs- und Buchprojekts laden wir ein zu einer Expedition in die Welt des „New Organizing“. Wie auch im Herausgeberband werden die Beitragsautor:innen regelmäßig  – bis zur Veröffentlichung im Oktober – Einblicke in die Innenwelt von Konzernen und größeren Organisationseinheiten geben, die sich mit der Einführung neuer, „agiler“ Methoden bis hin zu neuen Organisationsformen befassen. Ergänzend werden Theorie- und Forschungshintergründe präsentiert und vor allem Ausblicke gegeben, worauf Führung und Beratung zukünftig zu achten haben, wenn sie neue Organisationsansätze parallel zu vorhandenen Konzernstrukturen wirksam einführen möchten.

Jede Organisation hat Antworten zu geben auf die Frage, wie mit Neuerungen umgegangen werden soll. Sie legt hierzu Entscheidungsprozesse fest und sorgt für Filter, welche Veränderungen angenommen werden sollen und welche abgelehnt. Geht es bei der Veränderung um die Organisation selbst, steht sie vor der Herausforderung, dass sie ihre eigenen Entscheidungsprozesse, Regeln etc. mit Hilfe eben dieser anzupassen versucht. Hierbei greifen Unternehmen zwangsläufig auf Erfahrungen zurück, mit denen sie bisher erfolgreich waren.

In der 12. Fallstudie im Rahmen des New Organizing Forschungsprojekts kann man das gut beobachten: Eine Abteilung führt das SAFe Framework top-down wie ein Wasserfallprojekt ein. Das Management-Team überlegt sich, wie die Organisation ausgestaltet sein soll und rollt das neue Framework danach «konsequent» aus. Angelehnt daran, wie Projekte bisher funktionierten, wird analysiert, entwickelt und ausgerollt. Nur, das zu etablierende agile Vorgehen basiert auf Scrum und ist eher ein Gegenkonzept zu diesem Wasserfallvorgehen. Alte Muster sollen helfen, Neues zu etablieren?

Die zweite Abteilung im gleichen Unternehmen versucht schon bei der Einführung näher am Zielvorgehen zu sein. Sie verwenden in den Jahren davor trainierte Design Thinking-Methoden, um ihre neue Organisation zu erarbeiten und bilden ihre Teamstruktur mit einem Verfahren, das sich an das Spotify Modell anlehnt. Sie entscheiden sich schon «so zu tun, als ob», was erste Erfahrungen mit den angestrebten agilen Entscheidungsmustern beschert. Entschieden wird danach allerdings wieder im bekannten hierarchisch geprägten Muster. Nur weil eine neuer Entscheidungsprozess etabliert werden soll, heißt das ja noch nicht, dass der alte nicht mehr da ist und sogar hilfreich sein kann.

Beide Abteilungen haben sich einer Methodik bedient, die sie schon kennen, die eine aus dem Projektmanagement und die andere aus dem Innovationsbereich. Entscheidend scheint es in diesen Fällen, dass es die Organisationen schaffen, sich nach dem Start selbst in der Prototypen-Organisation zu beobachten, ihre Erfolge bzw. Misserfolge zu reflektieren und Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Dafür stellen die neuen Organisationsdesign-Blaupausen (Holacracy, Safe, Spotify Modell) zwar ein Rahmen zur Verfügung, zusätzlich muss jedoch die Fähigkeit der Selbstbeobachtung und anschliessenden Verbesserung gemeinsam erlernt werden. Im besten Fall entsteht aus dem ersten Wurf mit der Zeit ein individuell angepasstes Organisationsdesign, das der agilen Logik der Weiterentwicklung folgt. Passiert das nicht, wird eine nächste Top-down-Entscheidung nicht lange auf sich warten lassen. Die alten Muster übernehmen wieder, und der etablierte hierarchische Entscheidungsprozess sorgt dafür, dass die noch junge Pflanze wieder ausgerissen und mit einem Modell ersetzt wird, das gerade mehr Erfolg verspricht. 

Das war nur ein Aspekt von vielen Erkenntnissen, die man in den Fallstudien findet. Was passiert, wenn Blaupausen auf die Realität treffen und neue Entscheidungsmuster mit altbekanntem Vorgehen etabliert werden sollen? Ein ganzes Füllhorn an Erkenntnissen schüttet sich aus im Buch New Organizing – Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann. 


Das Buch „New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann“ erscheint Anfang Oktober 2021 im Carl-Auer Verlag. Vorbestellungen sind hier möglich. Am 1. Oktober 2021 findet außerdem unsere Online-Tagung zum Buch. Weitere Informationen gibt es hier.


Mehr zum Fall und Mustern sowie Learnings findet sich in:

Schnieper, B. / Huber, M / Camisani, A.  (2021): Speed is the Name oft the Game – Ein Technologieunternehmen springt von einem Organisationsmodell zum nächsten

in: Groth, T., Krejci, G., Günther, S. (2021) (Hrsg.): New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann. Heidelberg: Carl Auer, Kap. II. 12 – im Erscheinen