von Timm Richter
Ob eine Situation einfach, kompliziert oder komplex ist, wird von uns entschieden! Auch wenn wir in der Regel die Geschichte anders erzählen und davon ausgehen, dass Situationen – „objektiv“ betrachtet – einfach, kompliziert oder komplex sind. Das Cynefin-Framework legt nahe, dass man überprüft, welcher Art die Situation ist, um daraus abzuleiten, wie man sich verhalten soll. Wer so argumentiert, übersieht einen wesentlichen Aspekt subjektiver Wirklichkeitskonstruktionen, der in der Praxis einen großen Unterschied macht.
Komplexität bedeutet, dass man sich in einer Situation befindet, die undurchschaubar ist. Und zwar für den jeweiligen Beobachter (z.B. eine Person, ein Team, eine Organisation oder ganz allgemein ein beobachtendes System). Die Umwelt enthält immer mehr Möglichkeiten als der Beobachter mit beschränkter (kognitiver) Verarbeitungskapazität bewältigen kann. Somit wird er durch die Verhältnisse zur Vereinfachung gezwungen, er reduziert Komplexität. Und in dem Maße, wie durch den Beobachter Komplexität reduziert wird, nimmt das Maß an Berechenbarkeit und damit (vermeintlicher) Sicherheit zu.
Einfache und komplizierte Situationen oder auch Probleme werden durch den Beobachter selbst geschaffen, indem er „künstlich“ bestimmte Restriktionen oder Prämissen setzt. Die Komplexität wird in den Kontext verschoben und verschwindet dadurch (zunächst) aus dem Fokus der Aufmerksamkeit. Wird z.B. in einem Team oder einer Organisation ein Prozess detailliert geregelt, dann ist die Befolgung des Prozesses nur noch kompliziert oder sogar einfach. Das Risiko und der wesentliche Umgang mit der immer vorhandenen Komplexität liegt aber in den Entscheidungen, den Prozess so zu definieren. Denn wer stellt sicher, dass der Prozess (in allen Situationen) angemessen ist? Oder ein anderes Beispiel: Teams wünschen sich oft, dass sie nicht mehrere KPIs bekommen, sondern am besten nur genau einen! Wenn diesem Wunsch nachgegeben wird, dann haben die Teams es „nur noch“ mit einem einfachen, vielleicht komplizierten Problem zu tun – was immer noch schwer genug ist, keine Frage. Aber mit der Vorgabe nur eines KPIs werden die Aufgaben für Teams trivialisiert und das Risiko der Komplexität trägt diejenige Stelle, die den KPI festlegt, denn wer sagt, dass genau dieser KPI den Erfolg garantiert? Damit bleiben die Problemlösungsressourcen des Teams möglicherweise ungenutzt und Teams sollten sich nicht wundern, wenn aufgrund des komplexen Kontextes sich Priorisierungen und KPIs regelmäßig ändern.
Man wird die Paradoxie, dass Komplexes durch eine Problemdefinition “unzulässig” vereinfacht wird, nicht los …