„Speed trusting“ – wie kann man schneller Vertrauen gewinnen?

von Timm Richter

Einer unserer SWF-Kunden ist im Projektgeschäft tätig. Für den langfristigen Geschäftserfolg ist es wichtig, dass Teammitglieder aus verschiedenen Divisionen und Bereichen, die sich nicht persönlich kennen, gut zusammenarbeiten. Der Schlüssel zum Erfolg ist Vertrauen. Vertrauensaufbau braucht bekanntlich Zeit. Was aber, wenn man nicht so lange warten möchte? Unser Kunde wollte wissen, wie man einen Vertrauensbildungsprozess beschleunigen kann. In drei Schritten nähern wir uns möglichen Antworten.

Zunächst: Was ist nochmal ganz genau Vertrauen?

Vertrauen ist ein höchst wirksamer Mechanismus der Komplexitätsreduktion. Er kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist an eine Bedingung gebunden. Es braucht einen Kern von Erfahrung, Wissen, Selbstverständlichkeit – mit anderen Worten etwas Vertrautes, auf das man sich verlässt. Vertrautes wurde in der Vergangenheit durch stetige Wiederholung gelernt: die Welt an sich ist uns vertraut, da sie uns jeden Tag auf gleiche Art erscheint. Wir gehen davon aus, dass wir Menschen gut kennen, die uns nahestehen, und sind uns deswegen recht sicher in dem Erwarten ihres Verhaltens. Diese gewachsene Vertrautheit ist dann »einfach da« und wird nicht mehr hinterfragt oder reflektiert. Wenn wir von blindem, bedingungslosem Vertrauen sprechen, meinen wir oft Vertrautheit. Vertrauen geht jedoch weiter und ist nicht mit Vertrautheit zu verwechseln.

Im Gegensatz zu Vertrautheit ist Vertrauen nicht blind, sondern reflektiert und weiß darum, dass Vertrauen mit einem Risiko verbunden ist – genau deswegen braucht Vertrauen Mut. Bei Vertrauen geht es nämlich – im Gegensatz zu Vertrautheit, die auf vergangener Geschichte beruht, – um Zukunft. Wenn man vertraut, nimmt man Zukunft vorweg und tut so, als ob man die Zukunft kennen würde. Man verlässt den sicheren Boden der Vertrautheit und wagt sich weiter vor. Gemachte Erfahrungen werden auf unbekanntes Terrain übertragen, ohne dass man dies in irgendeiner Weise “sicher” wissen könnte. Es ist ein Sprung ins Ungewisse in dem Bewusstsein des Risikos, dass das Vertrauen enttäuscht werden könnte. Der Vorteil von Vertrauen ist es, dass man mehr erreichen kann, weil man sich “raustraut”, den Optionsraum vergrößert. Wer sich selbst mehr zutraut, probiert mehr. Wer anderen vertraut, kann ihre Hilfe in Anspruch nehmen und mehr erreichen. Je mehr Vertrauen da ist, desto größer ist dieser Sprung, desto mehr Ungewissheit wird überbrückt.

Interessant ist dabei die Dynamik zwischen Vertrauen und Vertrautheit über Zeit: wenn Vertrauen sich dauerhaft bewährt, nimmt die Vertrautheit (= Selbstverständlichkeit von Erwartungen) zu und nimmt Vertrauen – ceteris paribus – unter gleichen Bedingungen tatsächlich ab! Blickt man jedoch auf Veränderung und Neues, ergibt sich die Möglichkeit, auf Basis von größerer Vertrautheit nun noch weitere Sprünge ins Ungewisse im Sinne neuer Themen und Erfahrungen zu machen. Wird also immer gleich viel vertraut, erweitert sich der Handlungsspielraum kontinuierlich, da der Bereich der Vertrautheit kontinuierlich Potential für Ausweitung ermöglicht und das Vertrauen einen dann noch weiterführt. Betrüger und Heiratsschwindler arbeiten meist äußerst professionell mit diesem Ausweitungspotential.

Andererseits, wenn Vertrauen enttäuscht wird, wird auch bisher Vertrautes häufig in Frage gestellt, also als kontingent und nicht mehr selbstverständlich angesehen. Wenn z.B. eine Person, die einem nahe steht, Vertrauen enttäuscht, stellt sich die Frage, wie gut man diese Person überhaupt gekannt hat und welche bisherigen angenommen Selbstverständlichkeiten somit auch haltlos werden. In solchen Situationen muss man dann nicht nur das Vertrauen, sondern auch enttäuschte Vertrautheit zurückgewinnen – eine doppelt schwierige Aufgabe. Wir sehen: Vertrauen aufzubauen ist schwer und benötigt Zeit für Erfahrungen in Situationen der Verletzbarkeit, Vertrauen und eine Vertrauensbasis zu zerstören geht hingegen viel leichter und schneller.

Wie schafft man Vertrauen?

Da laut Luhmann Vertrauen „überzogene Information“ (Luhmann 2014) ist, man also Wissen sozusagen überreizt, braucht es für den Beginn von Vertrauen einen Absprungpunkt, ein Mindestmaß an Vertrautheit, einen sicheren Grund – wie klein auch immer er ist. 

In drei Sinndimensionen kann man Vertrautheit als Absprungbasis schaffen, indem man für positive Erfahrung sorgt. In der Sachdimension kann man fachliche Kompetenz signalisieren. Wer eine fachliche Aufgabe gut erledigt, dem traut man eher zu, dass er oder sie auch andere, ähnlich gelagerte Aufgaben, gut lösen wird. Wir vertrauen auch Personen, die uns gegenüber in der Vergangenheit Wohlwollen gezeigt haben. In der Sozialdimension gehen wir dann davon aus, dass solche Personen uns nichts Böses wollen, und wir vertrauen ihnen eher. Signale der Vertrauenswürdigkeit können auch übertragen werden: wir vertrauen eher den Menschen, bei denen wir sehen, dass andere ihnen vertrauen. Wenn uns eine Freundin einen Handwerker empfiehlt, bringen wir diesem einen Vertrauensvorschuss entgegen, auch wenn wir ihn gar nicht kennen. Und wenn jemand, der in Social Media zu einem bestimmten Thema regelmäßig schreibt, viele Follower hat, dann unterstellen wir eher, dass es sich um einen Experten handelt. Hier kann man auch wunderbar sehen, dass die Dimensionen durchlässig sind. In dem genannten Beispiel werden Signale in der Sozialdimension für Vertrauen in fachliche Kompetenz genutzt.

Wenn sich Erwartungen über Zeit stabilisieren, wenn über Zeit also eine gewisse Konsistenz wahrgenommen wird, wird in der Zeitdimension eine Grundlage für Vertrauen geschaffen. Es entsteht im Zeitverlauf eine Autorität, die gar nicht mehr weiter nach ihrer Grundlage hinterfragt wird. Man vertraut eben, weil es „immer“ schon so war.

Egal wie groß die Absprungbasis ist, es bleibt dabei, dass die Person, die vertrauen will, „springen“ muss. Vertrauen kann nicht erzwungen werden. Sobald allerdings vertraut wurde, kann entstandenes Vertrauen dann stabilisiert werden. Man erwartet nämlich die Rechtfertigung des entgegenbrachten Vertrauens, und es entsteht das Risiko, dass Vertrauensenttäuschung Sanktionen nach sich zieht. Die Person, der vertraut wurde, hat etwas zu verlieren, z.B. den guten Ruf. Dieses Drohpotenzial der Sanktionierung ist umso größer, je langfristiger eine Beziehung angelegt ist, je vielfältiger die gegenseitigen Abhängigkeiten sind und je mehr man Ziele nur mit gegenseitigem Vertrauen erreichen kann. Wo Vertrauen notwendig ist, herrschen günstigere Bedingungen für Vertrauen. Und wo wechselseitige Vertrauensverhältnisse vorliegen, wächst Vertrauen auch leichter. Vertrauen schafft Vertrauen.

Wie schafft man nun schneller Vertrauen?

Die erste und einfachste Art, schneller Vertrauen zu schaffen, ist es, mehr Risiko einzugehen und einen weiteren Sprung zu machen, also einen größeren Vertrauensvorschuss zu geben. So lernt man schneller, ob das Vertrauen gerechtfertigt ist. Es die Akzeptanz eines möglichen „Fail fast“.

Wer dazu nicht bereit ist, kann versuchen, vertrauensbildende Signale zielgerichteter und schneller zu erzeugen. In einem Team kann man explizit machen, auf welche Verhaltensweisen in welchen Situationen man besonders achtet, um die Vertrauenswürdigkeit von anderen zu prüfen. Sind diese Situationen identifiziert, kann man versuchen, sie zielgerichteter zu produzieren. Man generiert schneller Testfälle und wartet nicht darauf, dass sich solche Situationen zufällig ergeben.

Wir hatten festgestellt, dass Vertrauensverluste viel schwerwiegender zu kompensieren sind. Daher ist schon viel gewonnen, wenn Misstrauen vermieden wird. Man kann das dadurch fördern, dass man in zeitlich engeren Schleifen gemeinsam reflektiert, ob es Momente gab, die in Bezug auf Vertrauen kritisch gesehen werden. So kann man schon bei kleinen Erwartungsabweichungen anfangen, aktiv gegenzusteuern. Sollte es zu Enttäuschungen gekommen sein, kann die Person, die vertrauen will bzw. soll, den Einsatz erhöhen und anstatt zu misstrauen weiterhin von der anderen Person vertrauenswürdiges Verhalten erwarten. Man zeigt also eine größere Fehlertoleranz kann so die Erwartung von vertrauenswürdigem Verhalten verstärken.

Die bisher genannten Ideen zielten alle auf personales Vertrauen ab, das in Teams und zwischen den Teammitgliedern aufgebaut werden soll. Dieses personale Vertrauen kann – vor allem ganz am Anfang eines Vertrauensprozesses – durch organisationales Systemvertrauen substituiert werden. Ohne die handelnden Personen direkt zu kennen, kann allein die Tatsache, dass sie zur Organisation gehören, dazu führen, dass man einen größeren Vertrauensvorschuss gibt. Um diesen Effekt zu erzeugen bzw. steigern, kann man auf Organisationsebene Erwartungen, die mit der Mitgliedschaft verknüpft sind, verlässlicher machen, z.B. dadurch, dass man für bestimmte Rollen Kompetenzstandards definiert und sichert; oder dadurch, dass bestimmte kulturelle Werte, die für die Zusammenarbeit wesentlich sind, tatsächlich von vielen Mitgliedern gelebt werden, z.B. die Sanktionierung bei der Abweichung von kritischen Werten oder eine Fehlerkultur, die konstruktiv mit tolerierbaren Fehlern umgeht. Darüber hinaus können auch standardisierte Prozesse oder Tools in der Projektarbeit dafür sorgen, dass man durch sie Vertrauen in eine gemeinsame erfolgreiche Arbeit gewinnt. Organisationales Systemvertrauen kann allerdings immer nur am Anfang helfen. Für eine vertraute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in Teams ist es im zeitlichen Verlauf wichtig, dass die erlebten Verhaltensweisen der einzelnen Teammitglieder die Vorannahmen zumindest nicht wesentlich enttäuschen.

Es bleibt noch zu erwähnen, dass bei allem Bewusstsein über die Grunddynamiken der Vertrauensbildung und –gefährdung es für konkrete Fragen nützlich sein wird, sich als Führungskraft oder Management immer wieder zu fragen, welche Schlüsselsituationen aus Sicht der Beobachter als besonders vertrauensrelevant im jeweiligen System (Dyade, Team, Einheit oder gesamte Organisation) wahrgenommen werden. Neben generellen Schlüsselsituationen wie z.B. das Vorgehen bei Trennungen und Personalabbau, die Transparenz von Kommunikation und Entscheidungen, der Umgang mit Kritik oder das Lernen aus Fehlern etc., hilft ein sensibler Blick auf die Besonderheiten des Systems bei der Vertrauensbildung. 

Literatur

Luhmann, N. (2014). Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität (5. Aufl.). UTB GmbH.