von Timm Richter
Ein großartiger Nebeneffekt der neuen KI-Sprachassistenten ist es, dass sie für mich Alltagspraktiken und Annahmen sichtbar machen, die wir ansonsten oftmals unreflektiert voraussetzen. So gerade geschehen in einem unserer Kurse, wo wir die Flipcharts mit den Zielen und Erwartungen der Teilnehmenden zum Seminar abfotografiert und chatGPT um eine Zusammenfassung gebeten haben. Wir waren neugierig und haben ausprobiert, wie gut das funktioniert. Eine Rückmeldung der Teilnehmenden lautete, chatGPT habe in der Zusammenfassung „Brei“ erzeugt und vieles, was „spezifisch formuliert“ war „generalisiert“ und „verschwurbelt“.

Wie interessant, habe ich gedacht! Jetzt, wo wir allgemein kritisch die Fähigkeiten von chatGPT prüfen, wo manche Befürworter den Effizienzgewinn begeistert feiern (super, ich muss in keine elendig langen Meetings mehr, KI gibt mir die zeitsparende Zusammenfassung) und andere Kritiker der KI vorwerfen, nichts richtig zu verstehen, können wir wie in einem Spiegel erkennen, wie voraussetzungsvoll und risikoreich Zusammenfassungen auch ohne KI schon immer waren.
Zunächst: Dass eine Zusammenfassung Inhalte (für einen selbst) nicht angemessen wiedergibt, kann man nur beurteilen, wenn man auch die Originalquelle kennt. Ansonsten ist man darauf angewiesen, der Person zu vertrauen, die die Zusammenfassung erstellt. Wer Zeit sparen möchte, geht also immer das Risiko ein, Relevantes zu verpassen. Denn die Funktion einer Zusammenfassung ist es, Komplexität zu reduzieren. Die Reduktion vollzieht sich doppelt: zunächst erfolgt eine Auswahl von Daten (was z.B. von Zwischentönen wird überhaupt bemerkt und was wird weggelassen?) und dann werden diese Daten im Zuge der Zusammenfassung auch noch interpretiert, indem die zusammenfassende Person schreibt, was sie aus den Daten herausliest. Zusammenfassungen informieren zunächst die Person, die die Zusammenfassung erstellt! Und erst dieses Ergebnis der transformierenden Reduktion ist es, was in der Zusammenfassung von der Originalquelle übrig bleibt.
Dabei ist die zusammenfassende Person gezwungen, in den Begrifflichkeiten allgemeiner und abstrakter zu werden, wenn die Zusammenfassung den Details nicht widersprechen soll … oder sie muss Sachen einfach weglassen und ignorieren. Das ist unter anderem ein Grund, warum manche Strategien, Visionen oder auch aktuell Parteiprogramme oft so blutleer wirken.
Banal, aber nicht zu vernachlässigen: Zusammenfassungen kann es nur geben, wenn es auch eine ausführlichere Variante gibt. Man braucht erstmal Komplexität, um sie zu reduzieren. Und damit ist man immer in der Abwägung zwischen Komprimierung und Originaltreue. Dass es nur noch Zusammenfassungen und damit maximale Effizienz gibt, ist also nicht zu erwarten, Meetings und ihre mehr oder weniger angemessenen Zusammenfassungen werden uns erhalten bleiben – mit oder ohne KI-Sprachassistenten. Es stellt sich nur neu die Frage, wann wir in welchen Kontexten KI beim Zusammenfassen vertrauen werden.