Zum Verhältnis von Führung und Beratung

von Timm Richter

Das Verhältnis von Beratung und Führung im Kontext von Organisationen kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Klassisch ist die Trennung zwischen (reglementierter) Fachberatung, General Management Beratung sowie Organisations- bzw. Prozessberatung. Beratungen werden in der Regel dann geholt, wenn eine Organisation (oder Personen bzw. Gremien in Organisationen) meint, mit „Bordmittel“ nicht mehr weiterzukommen, bzw. sich von Beratung Lösungen für ihre Probleme erhofft. Je nach Problemlage werden andere Formen der Beratung bevorzugt, gleichwohl sind alle Beratungsformen dahingehend funktional äquivalent, dass sie ein allgemeines Organisationsproblem als Bezugsproblem haben: Entscheidungen!

In der Auftragsklärung eines Beratungsauftrages und im Grunde auch während eines Beratungsmandates läuft kontinuierlich die Frage mit, auf welche Art und Weise Berater:innen Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Die Erwartungen dazu können zwischen Berater:innen und den Auftraggeber:innen (im Laufe eines Mandates) divergieren und dann zu Enttäuschungen führen. Zur Erwartungsklärung bietet es sich an, bei Entscheidungen zwischen Verantwortung (Wer trifft die Entscheidung?) und Verantwortlichkeit (Wer wird für die Entscheidung verantwortlich gemacht?) unterscheiden. Ersteres ist aktiv, es sind die Handlungen, die zum Treffen einer Entscheidung beitragen und so Unsicherheit darüber reduzieren, was als nächstes zu tun ist. Letzteres ist passiv, blickt zurück und reflektiert, wem eine Entscheidung zugeschrieben wird, wer (oder was) Anspruch auf Lob und Tadel hat. Mehr zu dieser Unterscheidung, auch im Kontext von Delegation, findet sich HIER und HIER.

Tendenz Outsourcing: (reglementierte) Fachberatungen übernehmen / bekommen Verantwortung und Verantwortlichkeit

Eine (reglementierte) Fachberatung wird in der Regel geholt, weil man ihr Expertise unterstellt, ihr also in ihrem jeweiligen Themengebiet die Kompetenz zugeschrieben wird, „richtig“ entscheiden zu können. Meistens findet man es auch nicht problematisch, dass diese Kompetenz in der Organisation nicht vorhanden ist, vor allem, wenn es sich um Spezialwissen handelt, das von der Organisation nicht als strategisch relevant angesehen wird – z.B. Wissen in Steuerfragen, Rechtsfragen oder (internen) IT-Fragen. Man kann in diesem Falle offen erklären, dass man den Entscheidungen der Fachberatung folgt. Entscheidungen werden zwar formal immer noch von der Organisation getroffen – die Geschäftsführung unterschreibt z.B. die Steuererklärung oder kauft formal IT-Geräte für die Organisation, aber die Fachberatung hat de facto entschieden, was gemacht wird und hat alle relevanten Dokumente schon vorausgefüllt und es muss „nur noch“ von einem Organisationsvertreter unterschrieben werden. Rechtlich gesehen wird auch einiges an Verantwortlichkeit bereits der Fachberatung zugeschrieben, sie muss sich an Standards halten und ist bei (fahrlässigen) Verstößen für Entscheidungen schadensersatzpflichtig. Aber auch unabhängig von der juristischen Bewertung schiebt die Organisation die Verantwortlichkeit in Richtung Fachberatung: Wenn man eine renommierte (!) Fachberatung holt, um Steuerangelegenheiten oder andere Fachfragen klären zu lassen, dann trifft die Führungskräfte, die die Fachberatung geholt haben, jedenfalls keine Schuld, wenn es schiefgeht – denn wenn selbst die Expert:innen bei diesen Fachfragen versagen, dann hätten es die Führungskräfte ganz bestimmt nicht besser wissen können. Die Steigerung dieser Form von Fachberatung ist das Outsourcing. Wenn z.B. die Buchhaltung, die interne IT oder der Call Center von einem externen Dienstleister betrieben wird, dann übernehmen diese Dienstleister nicht nur Entscheidungen, sie sorgen auch für deren Umsetzung, handeln – von außen betrachtet – im Namen der Organisation.

General Management Beratungen sollen es besser wissen, wollen es aber nicht gewesen sein

Bei der Beauftragung von General Management Beratungen stellt sich die Situation etwas anders dar, da hier die Fachexpertise nicht ganz so deutlich sichtbar wird wie bei der Fachberatung. Die Grenzen sind sicherlich fließend, genau deswegen achten alle Beteiligten (ggf. auch nur implizit) darauf, wie Problem und Lösung – und damit Entscheidungen – gerahmt werden. In jedem Falle geht es um Probleme, die originär als Kernaufgaben von Führung anzusehen sind – z.B. Strategie, Organisationsfragen, Kernprozesse, etc. Insofern ist es für das Management in gewisser Weise risikoreicher, Beratung ins Haus zu holen, denn es könnte der Eindruck entstehen, es sei allein nicht in der Lage, den Job zu machen, für den es bezahlt wird – nämlich entscheiden und dafür auch Rechenschaft ablegen. Um diesen Eindruck zu vermeiden, kann man z.B. Ressourcenengpässe anführen (im Prinzip können wir das, wir haben nur zu wenig Zeit, es gibt zu viele wichtige Themen / Entscheidungsbedarfe), Beratung als wertvolle Außenperspektive verstehen (wir handeln umsichtig und holen uns zweite Meinungen ins Haus, um blinde Flecken zu vermeiden und „besser“ entscheiden zu können) oder darauf hinweisen, dass natürlich am Ende das Management entscheidet und nicht die Beratung. Das sind alles sehr valide Gründe, General Management Beratung zu engagieren. Beratung wird dann verstanden als Hilfe, damit das Management selbst besser entscheiden kann. Das Management behält Verantwortung und Verantwortlichkeit bei sich.

Gleichzeitig ist es in der Praxis meistens doch etwas komplizierter, eine Beauftragung erfordert kunstvolles Erwartungsmanagement auf allen Seiten. Hier einige Komplikationen, die auftreten können:

  • Die Managementberatungen preisen sich womöglich an als diejenigen, die es besser wissen, die genau deswegen von der Organisation engagiert werden. Was aber tun, wenn das Management von den Vorschlägen der Beratung nicht überzeugt ist? Dann kann es mitunter für die Auftraggeber schwierig werden, denn entweder war die Beauftragung der Beratung falsch und man hat umsonst viel Geld ausgegeben oder man folgt den Vorschlägen der Beratung wider eigenen vermuteten „besseren“ Wissens.
  • Selbst wenn das Management den Vorschlägen der Berater:innen folgt, heißt das noch lange nicht, dass die entschiedenen Empfehlungen anschließend von der Organisation umgesetzt werden. Entscheidungen werden nur dann wirksam, wenn sie innerhalb der Organisation akzeptiert werden und dafür sind die Managementberater:innen möglicherweise nicht die Expert:innen. Insofern werden Verantwortung und Verantwortlichkeit potenziell auseinandergezogen. Die Managementberatung macht Vorschläge, die theoretisch eine richtige Entscheidung wären, praktisch werden sie aber nicht umgesetzt … und jetzt wird es interessant, wer von wem für das Scheitern der Umsetzung verantwortlich gemacht wird – hat es die Organisation nicht hinbekommen oder waren die Empfehlungen der Beratung nicht praxistauglich?
  • In dem gegengesetzten Szenario wird dem Management vorgeworfen, bereits entschieden zu sein und von der Beratung lediglich ein Gefälligkeitsgutachten haben zu wollen, damit das Management bessere (?) Gründe für die Durchsetzung der eigenen Entscheidung hat. In diesem Falle verbleibt die Verantwortung für die Entscheidung beim Management, das versucht, einen Teil der Verantwortlichkeit an den Berater abzugeben nach dem Motto: „Wir waren uns unsicher, was zu tun ist, aber wenn die Beratung es empfiehlt, dann muss es ja richtig sein“. Gerade bei unpopulären oder schwierigen Entscheidungen mag dies ein Beweggrund sein, eine General Management Beratung zu engagieren – aber zugeben kann man das natürlich nicht. Im Allgemeinen und prototypisch wird einer General Management Beratung jedenfalls in der Außendarstellung – von sich selbst und Auftraggebern – eine gewisse Fachkompetenz oder auch Marktübersicht (Verantwortung in der Sache) zugeschrieben, Verantwortlichkeit für die Ergebnisse verbleiben eher beim Management der Organisation.

Wie unbeherrschbar die Dynamik in Entscheidungsprozessen und die anschließende Zuschreibung von Verantwortlichkeit ist, lässt sich aktuell in der Entlassung von der Vorständin Nikutta bei der Deutschen Bahn erahnen (Bericht der Tagesschau), wo eine die externe Beratung Oliver Wyman zu dem Schluss kommt, dass ihr Sanierungskonzept „objektiv ungeeignet“ sei, die DB Cargo zu sanieren. Und man fragt sich: Hat Frau Nikutta alles tatsächlich allein entschieden? Welche „Hilfe“ von Beratungen gab es ggf. vorher? Wer hat wen mit welchem Auftrag beauftragt. Und woher weiß die Beratung Oliver Wyman, was „objektiv ungeeignet“ ist?

Organisations- oder Prozessberatungen fokussieren auf Entscheidungsprozesse, verorten Verantwortung und Verantwortlichkeit strikt in der Organisation

In Beratungsprojekten von General Management Beratungen sind sich Beratung und Organisation in der Regel einig, dass es richtige Lösungen gibt. Der Fokus der Aufmerksamkeit und der Beitrag der Beratung geht dahin, solch eine Lösung zu finden.

Systemtheoretisch informierte Organisations- oder Prozessberatungen setzen anders an. Sie sind zurückhaltender, was den Glauben an eine richtige Lösung angeht und nehmen für sich nicht in Anspruch, der Organisation eine richtige Lösung liefern zu können. Das macht ihr Leistungsangebot auf den ersten Blick für Organisationen deutlich unattraktiver. Systemtheoretisch informierte Beratungen versprechen Organisationen „lediglich“ anschlussfähige Irritation. Sie gehen davon aus, dass Verantwortung und Verantwortlichkeit stets bei der Organisation verbleiben, dass eine Auslagerung an Beratung gar nicht möglich ist. Systemtheoretisch ist eine Organisation ein Netzwerk von Entscheidungen Jede Organisation ist immer schon entschieden, irgendetwas macht sie ja. Beratung wird nun geholt, wenn Entscheider:innen in Organisationen die aktuelle Entschiedenheit als problematisch ansehen. Die Problemlage kann unterschiedlich sein, z.B.: Man glaubt, dass man anders entscheiden müsste, schafft es aber nicht; es herrscht Uneinigkeit, ob und wie weiter entschieden werden sollte; eigentlich hat man Entscheidungen getroffen, sie zeigen aber nicht die gewünschte Wirkung; man möchte auf andere Art und Weise entscheiden.

Die systemtheoretisch informierte Beratung sieht ihre Rolle nun darin, die Organisation durch Kommunikationsgestaltung so anzuregen, dass andere / neue Entscheidungen möglich werden, die es ohne die Beratung nicht gegeben hätte. Wenn solche Beratungen davon sprechen, sie seien „Anwalt der Ambivalenz“, so ist damit vor allem gemeint, dass sie innerhalb der Organisation ein Irritationspotenzial wecken, also dafür sorgen, dass bisherige und zukünftige Entscheidungen nicht als alternativlos, sondern als kontingent angesehen werden. Erst die Idee, dass es nicht die eine richtige Entscheidung gibt, dass also immer Unsicherheit und Zweifel mitlaufen, ermöglicht und erfordert Entscheidungen. Systemtheoretisch informierte Beratungen arbeiten also stärker auf der Ebene 2. Ordnung: Sie versprechen entgegen der meisten Fachberatungen keine richtigen Entscheidungen (Lösungen), sondern die Unterstützung zur Realisierung angemessener Entscheidungsprozesse. Auch in dieser Form der Beratung gibt es Herausforderungen, die sich als Tanz um die Zurechnung von Entscheidungen, um die Verteilung von Verantwortung und Verantwortlichkeit verstehen lassen:

  • Sehr oft bekommen auch prozessorientierte Beratungen aus der Organisation Einladungen, doch bitte entscheidend einzugreifen, also eine Art Schiedsrichterrolle einzunehmen. Beteiligte in Beratungsprozessen erhoffen sich, dass die Beratung Partei ergreift – natürlich für ihre jeweilige Position. Die Versuchung für Berater:innen, diese Einladung anzunehmen, ist dann besonders groß, wenn die beauftragende Partei die Einladung ausspricht (man möchte den Auftrag schließlich nicht verlieren) oder man mit der Position einer Partei besonders stark sympathisiert und sie für besser hält. „Anwalt der Ambivalenz“ bedeutet, solche Einladungen zum Entscheiden, also dem Übernehmen von Verantwortung, nicht anzunehmen.
  • Manche systemischen Beratungen scheuen sich davor, inhaltlich Stellung zu beziehen oder Vorschläge in der Sache zu machen, da sie glauben, dadurch unangemessen entscheidend einzugreifen. Die Zurückhaltung ist nachvollziehbar, können doch Vorschläge oder Anregungen von der Organisation als richtige Lösung angesehen werden, auch wenn sie so nicht gemeint sind. Gleichwohl ist die Erfahrung von Berater:innen wertvoll, sie kann hilfreiche Anregungen geben und die Nicht-zur-Verfügung-Stellung könnte man als unterlassene Hilfeleistung interpretieren. Die Lösung liegt dann darin, Vorschläge auf eine Art zu machen, dass sie als Möglichkeit und nicht als Wahrheit verstanden werden. Dies erfordert Übung, ein allgemeines Rezept, wie dies stets gelingt, gibt es nicht, da es immer von beiden Seiten – Beratung und Organisation – abhängt, wie sich der Beratungsprozess vollzieht. Hypothetisches Formulieren und ein praktizierter Möglichkeitssinn können gleichwohl nützlich sein.
  • Der letzte Punkt weist noch auf ein allgemeines paradoxes Problem hin, dem sich auch die systemische informierte Beratung nicht entziehen kann: Selbst wenn bei allen Beteiligten Einigkeit darüber herrscht, dass Verantwortung und Verantwortlichkeit für Entscheidungen in der Organisation liegen und die Beratung lediglich den Entscheidungsprozess „nur“ moderativ begleitet, so muss man trotzdem feststellen, dass die Arbeit der Beratung nicht wirkungslos ist. Irgendeinen einen Unterschied – bestätigend, kompensatorisch, Möglichkeiten eröffnend, etc. – wird sie machen. Berater:innen könnten selbst auch immer anders handeln, was unter Umständen andere Entscheidungen der Organisationen zur Folge hätte. Auch die leichteste Form der Moderation ist immer verantwortungsvoll. Oder etwas paradoxer formuliert: Solche Berater:innen praktizieren die Kunst der einflusslosen Beeinflussung.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass es prototypisch unterschiedliche Formen gibt, wie Beratung auf Entscheidungen in Organisationen Einfluss nimmt:

  • Fachberatung übernimmt Verantwortung und (in Maßen) Verantwortlichkeit für Entscheidungen. Entscheidungen werden also in beschränktem Umfang outgesourct.
  • General Management Beratungen werden in der Regel auch wegen zugeschriebener Lösungskompetenz angefragt, es wird also ein Teil der Verantwortung ausgelagert, die Verantwortlichkeit verbleibt zumeist in der Organisation. Sie arbeiten meistens auf der Ebene erster Ordnung, der Fokus der Aufmerksamkeit liegt auf der Sachebene.
  • Systemtheoretisch informierte Beratungen operieren eher auf der Ebene zweiter Ordnung, sie unterstützen Organisation in Entscheidungsprozessen. Es wird versucht, Verantwortung und Verantwortlichkeit bei der Organisation zu belassen.

In der Praxis tauchen diese Mischformen dieser Prototypen auf. Auch kann es unterschiedliche Perspektiven der Beteiligten geben, welche Form der Beratung angefragt oder gerade praktiziert wird. In jedem Falle ist es hilfreich, in der Auftragsklärung und im Beratungsprozess immer wieder im Blick zu haben, wie die Rollen der Beteiligten in Bezug auf Entscheidungen gesehen werden und welche Form als besonders hilfreich angesehen wird, damit Organisation zu ausreichend guten Entscheidungen kommen.