Taubenschach deluxe – Zur Paradoxie der Interaktion mit Populisten

Ein Gastbeitrag von Claudia Salowski

Infotainment, das ist für sich genommen schon eine Paradoxie, nicht unbedingt eine logische, häufig aber eine pragmatische. Logische Paradoxien zeichnen sich dadurch aus, dass A und B nicht gleichzeitig existieren können, ein Mensch oder ein Tier kann beispielsweise nicht gleichzeitig tot und lebendig sein (mit Ausnahme von Schrödingers berühmter Katze, aber bei der weiß man es einfach nur nicht so genau). Pragmatische Paradoxien hingegen beziehen sich auf Dinge oder Zustände, die nicht gleichzeitig vorhanden sein können, aber eben aus pragmatischen Gründen. Ich kann also an einer Weggabelung nicht gleichzeitig links und rechts abbiegen. Nacheinander ist das, wenn ich den zunächst eingeschlagenen Weg wieder zurückgehe, aber durchaus möglich, daher handelt es sich um ein pragmatisches Problem.

Je nach Format etwa einer deutschen Talkshowsendung, auch je nach Moderator*in, mag sich der Grad an Paradoxie unterscheiden, doch im Grundsatz stellt sich für Redaktion, Gastgeber*in und Gäste die Frage: Wie soll man gleichzeitig das Publikum und einander mit Informationen versorgen (die idealerweise Unterschiede sind, die einen Unterschied machen) und das Publikum (gelegentlich auch einander) unterhalten?

Ungünstigerweise ist das nicht die einzige Paradoxie, die Gäste sich in solchen Formaten wie denen von Maybrit Illner, Sandra Maischberger oder Markus Lanz, um die bekanntesten zu nennen, einhandeln. Das gilt insbesondere dann, wenn es um gesellschaftspolitisch bedeutsame Themen wie das Erstarken der Rechtsextremen oder den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine geht. Denn neben den (erwartbar) signifikanten Unterschieden in den Positionen, die mitunter bewusst von den Redaktionen befördert werden, indem man Vertreter*innen einlädt, die gegensätzliche Meinungen haben, spielt auf der Metaebene die Art und Weise, wie der Diskurs dann geführt wird, eine besondere Rolle.

Dass bei Diskussionen, die etwa die Umfragewerte der AfD in Ostdeutschland betreffen oder die Rolle, die das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als neu gegründete Partei spielen könnte, mitunter populistische rhetorische Stilmittel von Akteur*innen genutzt werden, ist erwartbar und – man erinnere sich an den -tainment-Teil in Infotainment – möglicherweise auch bewusst herbeigeführt. Gleichzeitig ist in zunehmenden Maße zu beobachten, dass das zu Lasten des Info-Teils geht, und man muss sich fragen, ob der Preis dafür nicht langsam zu hoch wird.

Werden wir anhand eines Beispiels konkret. In der am 11. Juli 2024 ausgestrahlten Sendung von Maybrit Illner diskutierten unter dem Titel „Nato in der Krise – stark genug gegen Putin?“ die Parteivorsitzenden Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) und Sahra Wagenknecht (BSW), die Sicherheits- und Verteidigungsexpertin Claudia Major, der Generalleutnant a.D. Ben Hodges sowie der Journalist Claus Kleber. Wer sich regelmäßig mit der Thematik beschäftigt, erkennt anhand der Namen bereits den Grundkonflikt: Es sind unterschiedliche, teilweise diametral entgegengesetzte Positionen zu erwarten. Das für sich genommen wäre nun noch kein Problem und könnte beiden Komponenten des Infotainments zuträglich sein. Schauen wir allerdings darauf, wie der Diskurs in dieser Sendung (und vielen anderen) geführt wurde, verdeutlicht sich die pragmatische Paradoxie.

Ich nenne das Taubenschach deluxe, und das geht so: Der inhaltliche Austausch wird an vielen Stellen überlagert von rhetorischen Mitteln, die gerne von Populist*innen im Diskurs verwendet werden, eben weil sie eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Ziel des Informationsaustausches oder Erkenntnisgewinns erschweren, manchmal sogar unmöglich machen. Dabei werden Informationen in den Diskursraum gestellt, die nachgewiesenermaßen als falsch entlarvt werden können – und es oft auch werden.

Ein Beispiel hierfür aus besagter Sendung: Sahra Wagenknecht wirft in den Raum, die Ausgaben Deutschlands für Waffen betrügen 90 Milliarden Euro. Diese Aussage wird sehr schnell sowohl von Claudia Major (mit dem ganz bemerkenswerten Satz an die Adresse Wagenknechts, sie habe ein anderes Verhältnis zu Fakten als Major) als auch von Omid Nouripour einkassiert. Es gibt kein fact checking seitens der Redaktion, jedenfalls keines, das während der Sendung geschieht, und so könnte man meinen, es stehe Aussage („90 Milliarden“) gegen Aussage („Nein, das stimmt nicht“). Denn obwohl Wagenknechts angeblicher Fakt dementiert und richtiggestellt wird, wiederholt sie genau diesen gegen Ende der Sendung nochmals. Ihr wird dann erneut widersprochen, aber neben der Tatsache, dass man das als nicht vorhandenen Erkenntnisgewinn (bei Wagenknecht, in der Folge aber auch bei Teilen des Publikums) wahrnehmen kann, passiert auf der Metaebene noch etwas anderes: das Gleichgewicht verschiebt sich.

Man könnte rein zahlenmäßig meinen, dass Wagenknecht in der unterlegenen Position ist, dennoch kommt eine Analyse des Twitter-Accounts „Pedro“ (@mfphhh)zu dem Ergebnis, dass mehr als ein Drittel der gesamten Redezeit in der Sendung auf Sahra Wagenknecht fiel. Und dies nicht, weil ihr so häufig das Wort erteilt worden wäre; sie war auch der Gast, der andere (sowohl Gäste als auch die Moderatorin) am häufigsten unterbrach.

Auf der Metaebene betrachtet führt das dazu, dass die anderen Diskussionsteilnehmenden im Zweifelsfall sehr viel mehr damit beschäftigt sind zu widersprechen und Falschaussagen einzuordnen und geradezurücken, als dass sie eigene Argumente – Informationen, also Unterschiede, die einen Unterschied machen – einbringen könnten. Das reduziert offensichtlich die Chance auf Informationsgewinn, und auch wenn manche es unterhaltsam finden mögen, bringt es die, die widersprechen und richtigstellen wollen, in eine unterlegene Position.

Sie sind nun diejenigen, die gegenarbeiten müssen, die „Ja, aber“ sagen müssen und die sich dafür überhaupt erst einmal Gehör verschaffen müssen. Selbst wenn ihnen dies, wie in der Sendung insbesondere Claudia Major, mit Ruhe und Gelassenheit gelingt, lässt es sich wiederum mithilfe eines populistischen Stilmittels gegen sie verwenden.

Auch das ist, insbesondere wenn es um Russland und die Ukraine geht, aber auch am Beispiel des Diskurses über den Nahostkonflikt oder über die Zugewinne des Rechtsextremismus in Deutschland, häufig zu beobachten. Die so vermeintlich im Diskurs zu Unterlegenen Gemachten (die aber in Wahrheit triumphieren), die in die Ecke Gedrängten (in die sie sich in Wahrheit gerne stellen lassen), nutzen die Gelegenheit, sich zum Opfer zu stilisieren, und zwar zum rhetorischen. Man könne ja nichts mehr sagen, wird dann behauptet, für Andersdenkende sei im Diskurs kein Platz, der Begriff der Cancel Culture ist schneller im Raum, als man ihn aussprechen kann.

Das hat auch damit zu tun, dass es eine weitere pragmatische Paradoxie gibt, einen Zielkonflikt, der sich während der laufenden Sendung nicht auflösen lässt, ganz gleich, ob es eine Livesendung oder eine Aufzeichnung ist: Während man in einer privaten Diskussion, die aus dem Ruder läuft, die inhaltliche Ebene verlassen und auf der Metaebene über die Diskussionsregeln verhandeln kann, ist dies in einer öffentlichen Veranstaltung nicht zu bewerkstelligen. Dabei ist es egal, ob nun das Publikum im selben Raum oder vor Endgeräten sitzt und die Sendung verfolgt. Die Moderation kann sicherlich gelegentlich zarte Hinweise einfließen lassen, sie kann sogar versuchen, das Wort zu entziehen, aber wenn die Person, die unterbricht und dann einfach weiterredet, diese Einladung nicht annimmt, geht es einfach genau so weiter.

Da nicht zu erwarten ist, dass Akteur*innen dieses (populistische) Stilmittel aus der Hand geben, solange es ihnen mehr taugt als es hinderlich ist, muss über andere Bearbeitungsmöglichkeiten nachgedacht werden.

Eine Idee ist, ein konsequenteres Regime bezüglich der Regeln, die bisher eher implizite Konventionen sind, einzuführen. Die Redaktionen könnten diese impliziten Regeln vor der jeweiligen Sendung explizit in die Kommunikation bringen und auch auf Mittel hinweisen, mit denen eine (wiederholte) Nichtbeachtung geahndet wird. Beispielsweise könnte man Personen, die mehrfach die Regeln brechen, das Mikro abdrehen, oder aber man lädt sie künftig gar nicht mehr ein und benennt das auch so.

Weiterhin gibt es die Möglichkeit, das fact checking an eine dritte Instanz, beispielsweise an die Redaktion oder eine Gruppe von Expert*innen zum jeweiligen Thema, die aber nicht im selben Raum sitzen, auszulagern. Diese könnten die Fakten live checken, und die Redaktion könnte das Ergebnis während der Sendung in einem Livetickerformat einblenden. Damit ist zwar weder sichergestellt, dass die Urheber*innen der Falschinformation dazulernen, noch dass das Publikum seine Meinung ändert, aber die anderen Gäste könnten sich darauf konzentrieren, ihre eigenen Beiträge einzubringen und damit tatsächlich den Erkenntnisgewinn in den Vordergrund zu stellen.

Immer häufiger wird in der Öffentlichkeit auch die Forderung an Expert*innen geäußert, den Populist*innen keine Bühne mehr zu geben und Auftritte abzusagen, wenn entsprechende Personen ebenfalls eingeladen sind. Das ist eine weitere pragmatische Paradoxie, vielleicht ist es sogar eine logische, zumal fraglich ist, ob sich dies so konzertiert bewerkstelligen ließe, dass die Redaktionen in der Folge tatsächlich Verbreiter*innen alternativer Fakten nicht mehr einladen. Denn Teil des Auftrags an Expert*innen ist ja, ihre Expertise zur Verfügung zu stellen, und wie soll das gehen, wenn sie sich aus solchen Formaten zurückziehen und sich ausschließlich mit anderen Expert*innen austauschen? Ein wichtiger Aspekt hierbei ist auch die Frage nach der Erwartung an unterschiedliche Funktionen oder Rollen, die die Gäste im Gepäck mitbringen, etwa: Handelt es sich um eine Wissenschaftlerin oder um eine Politikerin? Beide mögen ein ähnlich gelagertes Interesse an Erkenntnisgewinn haben, allerdings ist zu erwarten, dass es der Politikerin bei ihrem Auftritt auch (und möglicherweise vorrangig) um die Verteidigung ihrer politischen Positionen oder um den Gewinn oder die Sicherung von Wählerstimmen geht. Auch hier liegt also ein Unterschied bezüglich der Ziele und Interessen der Akteur*innen vor, der Auswirkungen auf die Interaktion hat, gelegentlich mit kontraproduktiven Konsequenzen, wie wir gesehen haben.

Um zum Bild vom Taubenschach zurückzukehren: Wenn man sich mit einer Taube auf ein Schachspiel einlässt, ist zu erwarten, dass sie sich nicht um die Regeln schert, bald beginnt, die Figuren umzuwerfen, und irgendwann kackt sie vermutlich auf das Brett. Das Bild als solches ist insofern etwas schief, als kaum ein vernünftiger Mensch auf die Idee käme, sich mit einer Taube auf eine Partie Schach einzulassen. Es wird aber dann wieder rund, wenn man darauf hinweist, dass nicht die Taube das Problem ist, sondern die Wahl des Schachbretts, also des Terrains, auf dem man sich den Umgang mit der Taube zumutet.