von Timm Richter
Auf den ersten Blick erscheint die Führungsschleife, die Torsten Groth und ich im Buch »Wirksam führen mit Systemtheorie« vorstellen, sehr einfach: es wird auf eine Soll-Ist-Differenz hin überprüft, um dann eine angemessene Reaktion zu entscheiden, die anschließend umgesetzt wird. Wenn es nur so einfach wäre! Der Führungsalltag zeigt sich widerspenstig, ist oft verwickelter und läuft nicht so rund wie im Bild der Führungsschleife dargestellt. Der praktische Wert der Führungsschleife liegt vor allem darin, auf die wesentlichen Themen zu fokussieren, wenn mangelnde Führung beklagt wird.

Mit der Führungsschleife kann man ganz handwerklich eine Diskussion starten und fragen: “Welcher der genannten drei Schritte läuft auf welche Weise und was wird dabei problematisiert?“
Indem man so auf beobachtbare Phänomene schaut, hat man implizit bereits eine wesentliche Idee ins Spiel gebracht, nämlich dass Führung sich als Prozess vollzieht und sich von Führungskräften unterscheidet. Damit kann man Führungskräften die distanzierende Reflexion ermöglichen, auf welche Art und Weise sie zu der Führungsschleife beitragen oder beitragen möchten. Was eben auch den Blick dafür öffnet, dass andere Personen an der Führungsschleife mitwirken. Die Verteilung der Aufgaben ist auf vielfältige Weise möglich, z.B. die vermeintlich „klassische“: eine Führungskraft überprüft und entscheidet, andere setzen um. Oder eher sehr „agil“: gemeinsam wir überprüft, das Team entscheidet und eine Führungskraft räumt Hindernisse aus dem Weg. In jedem Falle eröffnet die Führungsschleife die Möglichkeit zu überlegen, was man unter „guter“ Führung verstehen möchte.
Gleichzeitig bieten die drei Schritte einzeln betrachtet jede Menge Möglichkeiten, kritische Führungsaspekte und ihr aktuelle Realisierung zu reflektieren.
- Überprüfen: Wie bei so vielem birgt auch die Diskussion über Führung das Risiko einer Mittel-Zweck-Verwechselung. Denn in Organisationen (oder Teams) geht es nicht um gute Führung an sich, sondern Führung hat eine Funktion, nämlich dafür zu sorgen, dass es für die zu führende Einheit weitergeht. Der Schritt des Überprüfens hilft, aus einem möglichen operativen Hamsterrad auszusteigen und zu prüfen, was die kritischen Überlebensfragen sind. Die Führungsfrage lautet: Wenn wir nach außen, auf unsere relevante Umwelt schauen, können wir so weitermachen wie bisher oder müssen wir etwas ändern? Und: Was passiert, wenn nichts passiert?
- Entscheiden: Entscheiden ist nicht ohne Risiko, denn man wählt zwischen Alternativen und kann sich nie sicher sein, ob in Zukunft eine Entscheidung als falsch bewertet werden wird. Da man also bei Entscheidungen nicht berechnen kann, was richtig ist, etablieren sich in Organisationen Führungsprozesse, wie man in Entscheidungssituationen mögliche Alternativen identifiziert und bewertet, um dann eine Entscheidung herbeizuführen. Die Setzung von Prinzipien / Kriterien, die Festlegung eines Entscheidungsverfahrens oder auch die formale Entscheidungshoheit von Führungskräften sind Beispiele, wie man die notwendige Asymmetrie bei Entscheidungen herbeiführen kann. Die Führungsschleife erinnert daran zu fragen, wie in der Organisationen entschieden wird und woher man weiß, wann eine Entscheidung eine Entscheidung ist.
- Umsetzen: Kein Führen ohne Folgen. Ist etwas entschieden worden, so entfaltet die Entscheidung nur dann die gewünschte Wirkung, wenn sie auch umgesetzt wird, d.h. Folgeentscheidungen im Sinne der ersten Entscheidung getroffen werden. Hapert es innerhalb der Führungsschleife an Umsetzung, so muss das nicht an bösem Willen liegen, viel näher liegt es zu vermute , dass die Beteiligten (gute) Gründe haben, anders zu handeln. Vielleicht können sie bestimmte Dinge nicht leisten oder fürchten Konsequenzen? Oder man weiß nicht so recht, was genau zu tun ist. Denn Entscheidungen sind niemals so eindeutig klar, immer gibt es Interpretationsspielraum. Und selbst wenn Einzelentscheidungen klar sind, so führt die Vielzahl von Entscheidungen oftmals zu Widersprüchen und Unvereinbarkeiten – die Qualität soll gesteigert werden bei sinkenden Kosten, Innovationen und hohe Ertragskraft werden gefordert oder ganz verschiedene Kundensegmente sollen zufriedengestellt werden. Der Schritt des Umsetzen erinnert daran, dass Entscheidungen immer vom Ende her gedacht werden sollten und einen kontinuierlichen Dialog mit allen Betroffenen erfordern.
Im Organisationsalltag tauchen unablässig Führungsdilemmata auf, denen sich Führungskräfte ausgesetzt fühlen. Jedes Führungsdilemma fordert zur Entscheidung auf. Die Schritte der Führungsschleife fokussieren auf drei Hauptparadoxien, die man bei Führung stets im Blick halten sollte :
- Überprüfen: Für die kontinuierliche Umsetzung von getroffenen Entscheidungen sorgen, also weitermachen (innen) oder etwas aufgrund (äußerer) Entwicklungen ändern, also neu entscheiden
- Entscheiden: Im Prozess öffnen, also mehr und andere Alternativen finden oder schließen, dass eine Option auswählen
- Umsetzen: (genau) folgen oder (vorausschauend) mitdenken
Zum Schluss noch eine Liste mit Fragen, die sich aus der Führungsschleife ableiten und eine fruchtbare Auseinandersetzung mit Führung ermöglichen:
- Wie vollzieht sich die Führungsschleife bei Ihnen?
- Wer ist wann wie beteiligt, welche Rolle haben dabei Führungskräfte?
- Was darf auf keinen Fall passieren? Wann bekommt die zu führende Einheit richtig Probleme?
- Was passiert, wenn nichts passiert, wenn also weiter geführt wird wie bisher?
- Wie treffen Sie Entscheidungen? Und woher weiß man, ob etwas eine Entscheidung war?
- Wieviel Spielraum gibt es bei der Umsetzung von Entscheidungen?
- Wofür wird wer verantwortlich gemacht?
- Welche paradoxen Dilemmata werden in Bezug auf Führung im Moment vor allem (implizit) bearbeitet?