von Timm Richter
Das Verhältnis von Führung und Coaching wird vielfach diskutiert – auch regelmäßig in unseren offenen und Inhouse Aus- und Weiterbildungen. Genauer wird gefragt, wann Führungskräfte ihr Mitarbeitenden oder ihr Team führen bzw. coachen sollen … und ob das überhaupt geht, dass Führungskräfte coachen?

Führung und Coaching sind soziale Prozesse, die sich in einer Beziehung vollziehen, an der im betrachteten Fall Führungskräfte und Teams / Mitarbeitende beteiligt sind. Also lautet die Frage noch genauer: Welche Beziehungsangebote gibt es zwischen Führungskraft und Team / MA bzw. wie ist die Rolle der Führungskraft in dieser Beziehung ausgestaltet bzw. welche Beiträge soll die Führungskraft in dieser Beziehung leisten? Um ein gutes Bild von den Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung zu bekommen, lohnt es sich, die wesentlichen Unterscheidungen und den relevanten Kontext zu benennen, die für die Frage „Führen oder coachen“ relevant sind. In Organisationen taucht die Frage in der Regel im Kontext der Delegation auf und dabei werden folgende Unterscheidungen (implizit) verwendet und verhandelt:
Innen und außen
Verantwortung und Verantwortlichkeit
Problem und Lösung
Eine Führungskraft könnte sich wie folgt der Frage nähern, ob sie ihr Team führen oder coachen soll: In Organisationen dreht sich alles um Entscheidungen, dauernd gibt es Entscheidungsbedarfe in den verschiedensten Aufgabenbereichen. Da nicht alle alles machen können, bildet sich in Organisationen eine Aufgabenteilung aus, so dass unterschiedliche Teams, Abteilungen, Bereiche unterschiedliche Aufgaben bearbeiten. Entscheidungsbedarfe und -kompetenzen werden in Organisationen auf diese Weise verteilt. Und da solche Organisationseinheiten mitunter schwer zu adressieren sind, gibt es in vielen Organisationen (nicht allen) Führungskräfte, die (formal) im Namen der Organisationseinheit im Rahmen des Aufgabenbereiches sprechen und entscheiden können. Damit wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die jeweilige Organisationseinheit handlungsfähig ist, um die übertragenen Aufgaben zu leisten, denn im Notfall oder wenn es schwierig wird, kann die Führungskraft entscheiden und Anordnungen treffen, z.B. wer im Team was machen soll. Diese Aufstellung kann nun mit den drei genannten Unterscheidungen beobachtet werden – der Einfachhalt halber konzentrieren wir uns auf eine Teamleitung mit ihrem Team. Das relevante soziale System im Innenverhältnis, die Systemreferenz, ist die Beziehung zwischen Führungskraft und Team. Hier wird intern geregelt, wie der Aufgabenbereich bearbeitet werden soll. Im Außenverhältnis nimmt die Führungskraft eine besondere Stellung ein, da ihre Rolle (in der Regel) von der Organisation so definiert ist, dass die Führungskraft das Team repräsentieren kann, also (formale) Entscheidungsmacht hat. Die Frage, ob eine Führungskraft führen und coachen soll, wird immer vor dem Hintergrund der internen und externen Erwartungen an Team und Führungskraft verhandelt.
Von außen repräsentiert die Führungskraft das Team …
Von außen betrachtet wird der Führungskraft zugestanden und auch von ihr erwartet, dass sie Entscheidungen trifft bzw. für Entscheidungen sorgt bzw. für Entscheidungen „den Kopf hinhält“. Das ist die Idee der Delegation eines Aufgabenbereiches an die Führungskraft, dass nämlich eine Führungskraft in ihrem Verantwortungsbereich frei entscheiden und handeln kann. Sie übernimmt Verantwortung für Entscheidungen und wird für Erfolge und Misserfolge verantwortlich gemacht … bis dahin, dass sie von der Aufgabe entbunden wird, wenn sie diesen nicht gewachsen ist bzw. befördert wird, wenn man ihr mehr zutraut. Im Außenverhältnis liegen die Verantwortung (=Entscheidungsmacht) und Verantwortlichkeit (=Rechenschaftspflicht) bei der Führungskraft. Im Innenverhältnis stellt sich die Frage, was von der Führungskraft an das Team delegiert wird. Je mehr delegiert wird, desto eher findet sich die Führungskraft in einer coachenden Rolle.
… von innen sind vielfältige Beziehungen möglich
Das Innenverhältnis können wir uns nun genauer anschauen. Systemtheoretischer gedacht und mit der Trennung von Führung und Führungskraft im Blick würde man formulieren, dass die Rolle der Führungskraft dafür sorgt, dass sich in dem sozialen System (hier: Team) Führung vollzieht; also kontinuierlich der Prozess des Überprüfens, Entscheidens und Umsetzens stattfindet. Die erste und wichtigste Aufgabe der Führungskraft ist es, diese Führungsschleife am Laufen zu halten. Das kann sie auf unterschiedliche Art und Weise machen, je nachdem, welche Aspekte der Führungsarbeit sie delegiert. Hier kommt die dritte Unterscheidung – Problem und Lösung – mit ins Spiel. Für den Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Führungskraft mit ihrem Team muss ja festgelegt werden, was genau bearbeitet wird. Wo liegen die Herausforderungen, wo besteht Handlungsbedarf, was sind die Probleme, die angegangen werden sollen? Hier geht es um den Aspekt des Überprüfens aus der Führungsschleife. Nachdem relevante Probleme identifiziert wurden, muss überlegt werden, wie man mit ihnen umgeht (=Schritt Entscheiden) und wie die Entscheidung dann auch (operativ) umgesetzt wird (= Schritt Umsetzten). Diese beiden Aspekte stellen die (vorübergehende) Lösung des Problems dar. Sowohl die Festlegung der zu lösenden Probleme als auch die Lösungsfindung selbst können in unterschiedlichen Graden an das Team delegiert werden.
Zwischen führen und coachen
Arbeitet eine Führungskraft im Modus „führen“, so wird sie einen eher starken Einfluss auf alle Phasen der Führungsschleife ausüben, also u.a. die zu bearbeitenden Probleme definieren, mehr selbst entscheiden und „eng“ die Umsetzung begleiten. Wenn begonnen wird zu delegieren, kann man oft beobachten, dass das Team mehr Freiheitsgrade für eigenständiges Arbeiten in der Umsetzung bekommt oder auch noch bei der Entscheidungsfindung bzw. der Überprüfung stärker eingebunden wird. Die Rahmensetzung, also die Steuerung des Fokus der Aufmerksamkeit – was ist (für den Erfolg des Teams) relevant – wird dabei oftmals immer noch bei der Führungskraft gesehen, auch in Teams, die stärker selbständig arbeiten. In so einem Setting mit partieller Delegation verbleibt also die Problemdefinition eher bei der Führungskraft, die Lösungsfindung und -umsetzung gehen auf das Team über.
Was heißt es nun, wenn eine Führungskraft (für ein ausgewähltes Thema oder Aufgabe) im Modus „coachen“ arbeitet? Coaching bedeutet, dass sowohl Problem als auch Lösung beim Coachee liegen, in unserem Fall also dem Team. Das bedeutet, dass die Führungskraft Problem und Lösung, für die sie im Außenverhältnis zur Verantwortung gezogen wird und für die sie ein Entscheidungsmandat bekommen hat, als „Gesamtpaket“ an das Team delegiert. Im Innenverhältnis nimmt sich die Führungskraft stark aus dem Spiel und überlässt Verantwortung und Verantwortlichkeit für Problem und Lösung dem Team. Die Konsequenz davon ist, dass die Beziehung zwischen Führungskraft und Team (für dieses Thema oder Aufgabe) nur eine coachende sein kann. Coaching durch eine Führungskraft ist also damit gleichzusetzen, dass die Führungskraft eine Aufgabe – die Kombination von Problem(definition) und Lösung im Innenverhältnis zu 100% an das Team delegiert hat und Problem und Lösung auch bei Schwierigkeiten stets beim Team verbleiben.
Das muss man als Führungskraft aushalten können. Denn im Außenverhältnis bleibt die Rechenschaftspflicht für die Leistungen des Teams (in großen Teilen) an der Teamleitung hängen. Delegation (und Coaching) erfolgen also immer auf eigenes Risiko der Führungskraft, die Verantwortlichkeit für die Ergebnisse des Teams im Außenverhältnis wird eine Führungskraft nie los. Deswegen kann sie auch – im Gegensatz zu externen Coaches nie „nur“ coachen …
Was heißt das nun konkret für die Führungsarbeit?
Wer als Führungskraft systemtheoretisch orientiert handelt, wird nicht nach einem starren Entweder-Oder von „führen oder coachen“ suchen, sondern den Blick auf die Beziehung zum Team und deren Passung zum jeweiligen Kontext richten. Daraus ergeben sich einige zentrale Empfehlungen:
- Klarheit über das Außenverhältnis schaffen: Führungskräfte sollten sich bewusst machen, wofür sie im Außen verantwortlich sind – und wo Delegation im Inneren vor dem Hintergrund ihrer Rechenschaftspflicht nach Außen ihre Grenzen findet. Was ist unverhandelbar?
- Innenverhältnisse aktiv gestalten: Es ist eine Führungsaufgabe, die Beziehung zum Team so zu gestalten, dass ein Wechsel zwischen den Modi „führen“ und „coachen“ möglich ist. Situative Rollenklarheit braucht nicht nur die Führungskraft, sondern auch das Team. Über Rollenerwartungen kann explizit gesprochen werden.
- Delegation nicht mit Loslassen verwechseln: Selbst wenn Problem und Lösung dem Team überlassen werden, bleibt die Führungskraft im Spiel – als Beobachterin, Rahmensetzer, Absicherer.
- Coaching durch Führung beginnt mit der bewussten Entscheidung zur Delegation auf eigenes Risiko – nie aus Bequemlichkeit oder Unentschlossenheit.
- Reflexionsfähigkeit kultivieren: Systemisches Führen heißt, sich selbst und das eigene Handeln immer wieder im Licht der Rollenlogiken und Beziehungskonstellationen zu betrachten – nicht zuletzt, um eigene Überforderungen oder Missverständnisse im Delegationsprozess früh zu erkennen. Wer so vorgeht, wird nicht weniger führen, sondern anders – kontextsensibler, bewusster und oft wirksamer.