„Die Realisierung des Andersseins“ – eine kurze Tagungsnachlese

von Torsten Groth

Am 1. und 2. Juli war es soweit, endlich konnten wir mit knapp 100 Teilnehmer:innen und 15 Imulsgeber:innen wieder in Präsenz (im buM Berlin), eine der aktuell dringlichsten, nicht allein gesellschaftlichen Fragen angehen: Wie gelingt eine nachhaltig-wirksame Veränderung?

Angelehnt an Watzlawicks Buchtitel „Die Möglichkeit des Andersseins“ war es ein Anliegen, einen Schritt weiter zu denken. Im Angesicht der aktuellen Lage geht es nicht mehr nur darum, die „Möglichkeit“ des Andersseins zu bedenken, sondern die Realisierung, also die Veränderung in Richtung einer beobachtbar anderen Praxis anzustoßen. Dass wir alle uns anders verhalten müssten, um z.B. den C02 – Ausstoß zu reduzieren und die Klimaerwärmung zumindest zu verlangsamen, sollte bekannt sein, dass Kriege zu beenden sind, indem man die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch bringt, ist im gleichen Maße leicht zu formulieren, wie unwirksam. Hier wie auch sonst zeigt sich die Diskrepanz zwischen wohlmeinenden Appellen und einer widerständigen Praxis, die sich den Änderungsideen widersetzt.

Aber nicht nur im globalen Kontext stellt sich die Frage nach der Realisierung, auch in beraterischen und organisationalen Kontexten, in denen seit längerem schon Idealbilder einer hierarchiefreien, agilen Welt gemalt werden, fragen wir uns, wie sich dieses Ideal im Alltag vor allem größerer Organisationen umsetzen lässt.

Die Kernfrage ist also, wie kommt man vom Wissen zum Tun! – Ohne hier auf einzelne Beiträge der Tagung eingehen zu wollen (wir werden die Vorträge in kürze online stellen), zeigen sich mindestens vier relevante Aspekte:

  1. Nutze Systemtheorie zum Erkennen und Erklären der Widerständigkeit!
    Der Systemtheorie wird oft nachgesagt, sie würde mit Blick auf Komplexität, Autopoiese etc. nicht in der Lage sein, praktische Hinweise zur Veränderung von Gesellschaft und Organisation geben können. Praktisch zeigen lässt sich jedoch – und dies nicht nur in den Tagungsimpulsen – dass der eigentliche Wert der Systemtheorie darin liegt zu erklären, wie der Alltag funktioniert, dass z.B. in der Nichtveränderung (bei allen schädlichen Folgen) auch ein Überlebensmechanismus liegt, den es zu berücksichtigen gilt in der Suche nach „funktionalen Äquivalenten“.
  2. Beachte  Prozesse der dynamischen Stabilisierung!
    Eine wichtige Prämisse einer systemtheoretisch inspirierten Sicht auf den Alltag besteht darin, dass Systeme rein gegenwärtig agieren. Wenn Nichtveränderung beobachtet wird, dann muss dieses „Nicht“ jeden Tag wieder hergestellt, also „dynamisch stabilisiert“ werden. Dies ist als eine Systemleistung zu sehen. Wirksame Formen der Intervention haben also bei der Erzeugung der Nichtveränderung anzusetzen, sie verhindern – mit anderen Worten – die Verhinderung von Veränderung.
  3. Achte auf die Relevanz von Kontextsteuerung!
    In der Führungs- und Beratungspraxis liegt der Fokus naheliegend beim Naheliegenden, also bei der Gestaltung von Interaktionen und Organisationen. Eingebettet sind all diese Strukturen und Prozesse jedoch in rechtliche Rahmenbedingungen und digitale wie auch klassische Infrastrukturen (zu merken gerade in Fragen der Energiezufuhr). Wirksame Veränderung heißt also auch, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob nicht die Kontextveränderung einen größeren Einfluss hat als der Fokus auf Internes.
  4. Ermögliche (Differenz-) Steuerung durch Impulse!
    Simpel gesprochen ist eine Lehre aus der Tagung: „Fange an!“. Nicht jedoch mit der Idee, dies sei der erste Schritt hin zu einem zuvor festgelegten Ziel, sondern eher als ein Startpunkt eines Lernprozesses (über Gelingendes und Misslingendes). Insofern leistet Systemdenken hier ein weiteres wertvolles Reframing: Sei nicht enttäuscht, wenn etwas nicht wie geplant klappt, sondern rechne im Wortsinne damit: Was ist die Differenz zwischen a) dem, was ich dachte, in welche Richtung es gehen sollte, und b) dem, was stattdessen herausgekommen ist! 

Wir von SWF bedanken uns für die wertvollen Impulse bei Prof. Armin Nassehi, Dr. Petra Künkel, Dr. Till Wagner, Susanna Krüger, Adriana Groh, Prof. Olaf Geramanis, Christina Grubendorfer, Prof. Teresa Koloma Beck, Dr. Katrin Käufer, Dr. Julia Borggräfe, Christoph Backes und Isabell Steiner und vor allem bei den Teilnehmenden für die inspirierenden Nachfragen und Diskussionsbeiträge.