Trump »Wir nennen es Golf von Amerika!« – War das jetzt eine Entscheidung?

von Timm Richter

Das kommt darauf an, wen man fragt bzw. was die Systemreferenz ist. Für die Open Street Map Community, die eine Open Source digitale Karte durch freiwillige Mitglieder erhält, war es keine Entscheidung, aber eine überraschende Irritation. Die Community musste – ob sie wollte oder nicht – sich zu diese „Ansage“ verhalten und wie sie das tut, kann man sehr gut in diesem Gesprächsverlauf beobachten, der vor vor gut 30 Tagen startete und inzwischen knapp 300 Einträge hat. Die professionelle, sachlich orientierte, unaufgeregte Art der Diskussion, zuweilen mit feinem Humor unterlegt, unterscheidet sich wohltuend von der ansonsten sehr verbreiteten Gereizheit. Es liest sich gleichzeitig wie ein spannender Krimi, man fiebert mit, wie ES – die Kommunikation der Open Street Map (OSM) Community – sich in diesem Fall entscheidet.

Aus dem Chatverlauf kann man darüber hinaus etwas über gelingendes Entscheiden lernen, was man gut in Organisationen gebrauchen kann. Auch in Organisationen gibt es ständig Situationen, zu denen man sich verhalten muss, wo auch ganz unvorhergesehen externe oder interne Personen etwas entscheiden, was dann Relevanz für die Organisation gewinnt. Der gesamte Chat der OSM Community startet mit einem Hinweis, dass Donald Trump in seiner Inaugurationsrede vom 20. Januar verkündet hat, er wolle den Golf von Mexiko in Golf von Amerika umbenennen. Irgendjemand hat dann flink eine Änderung vorgenommen wie es hier dokumentiert ist.

Dies war ein erster Versuch, anders als bisher zu entscheiden – und für die Nutzer der Open Street Map sah es damals auch so aus, als ob OSM sich entschieden hat, denn solche Änderungen von Nutzern werden sofort effektiv. Ein anderer Nutzer allerdings kommentiert:

This seems very premature. Just because the US president states that he wants rename an entire international gulf, doesn’t mean that it will happen, nevermind become the common usage.

Dies war erst die 20. Änderung dieses Datenpunktes, seit er vor 16 Jahren angelegt wurde. Es sollten dann bis Ende Februar 84(!) weitere Änderungen innerhalb kürzester Zeit folgen. Die Moderatoren von OSM [genauer: ein Mitglied der Data Working Work, ein offizielles Gremium der OSM Organisation- siehe weiter unten] erstellen sehr schnell den Hinweis, dass Änderungen wieder zurückgesetzt werden, sofern sie nicht in dem Community Thread diskutiert wurden. Erste wichtige Erkenntnis in Bezug auf Entscheidungen: Bei der OSM Organisation gibt es eine hierarchische Ordnung, wodurch gegenüber allen anderen Freiwilligen Weisungsmacht und Letztentscheidungsbefugnisse gesichert wird. Dazu findet man auf Wikipedia folgenden Hinweis:


The Data Working Group is authorised by the Foundation to deal with accusations of copyright infringement, imports, serious disputes and vandalism. Minor incidents of vandalism should be dealt with by the local community using counter-vandalism tools and processes.

Wer also in Organisationen – auch in agilen Kontexten, Verbänden, Vereinen, Genossenschaften – Handlungsfähigkeit sicherstellen möchte, ist gut beraten zu prüfen, wie Letztentscheidungsbefugnisse geregelt sind. Zurück zur OSM Organisation: Trotz der Verkündung im Sinne von „Wir ändern erst einmal gar nichts“ ist das Thema einer potenziellen Namenänderung in der Welt, zu der sich die Community verhalten muss. Es werden – systemtheoretisch nachvollziehbar – zwei Argumentationslinien in dem Thread verfolgt, die auch in der Entscheidungspraxis in Organisationen wichtig sind: (a) die Klärung von Entscheidungskompetenzen und (b) mögliche relevante Unterschiede zur Entwicklung von Entscheidungsalternativen.

(a) Klärung von Entscheidungskompetenzen

War die Ankündigung von Trump jetzt eine Entscheidung der USA? Eine Ankündigung ist noch keine Executive Order, die kam (einen Tag) später. Und die Anordnung ist eben erst einmal nur eine interne Entscheidung, die noch nicht (im Verhältnis zur Außenwelt) umgesetzt ist. Auch in Organisationen ist immer zu prüfen, welche Einheiten welche Entscheidungen treffen dürfen und wie diese umgesetzt werden. Die OSM Community fragt sich, wann sie wissen kann, was die Position der USA ist. Was ist also die Quelle, von der man annehmen kann kann, dass sie die „offizielle“ Namen der USA nennt? Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass die OSM das US Board of Geographic Names als diese Quelle ansieht, die das Geographic Names Information System betreibt. Dort wird – eine kurze Vorschau – am 9. Februar der Eintrag geändert, worauf Google Maps und Apple Maps den Namen anpassen. Bei Google und Apple sehen nun auch Nicht-Amerikaner jetzt: Golf von Mexico (Golf von Amerika). Wie interessant, könnte man ausrufen, dass diese beiden amerikanischen Unternehmen der ganzen Welt zumuten, die irren Anordnungen des US-Präsidenten wahrzunehmen. Im Gegensatz dazu ist OSM Community viel zurückhaltender. Es wird bei ihnen lediglich ein zusätzlicher Tag als weitere Information ergänzt, nämlich official_name:en-US=„Gulf of America“. Das führt uns zu der Frage, wie es sich in der OSM Community in Bezug auf die Bezeichnung entscheidet, nachdem die USA – aus Sicht der OSM Community – offiziell einen neuen Namen verwenden.

(b) Unterschiede zur Entwicklung von Entscheidungsalternativen

Im Thread der OSM Community wird intensiv diskutiert, welche Kennzeichnung wie geändert werden sollte, nachdem die gewünschte Änderung von Trump die offizielle Position der USA wird. Hier zeigt sich ganz praktisch, wie wichtig es in allen Entscheidungsprozessen ist, neue und andere Unterscheidungen zu (er)finden. Je kreativer man wird, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass man eine tragfähige Lösung findet. Bei der Diskussion innerhalb der OSM Community läuft alles auf ein kreatives „Sowohl als auch“ hinaus, so dass der gesunde Menschenverstand vernünftiger Weise behalten wird, und gleichzeitig der neuen offiziellen US-Position Rechnung getragen wird, und zwar auf eine Weise, dass die Änderung zwar sichtbar, aber im praktischen Vollzug de facto unsichtbar bleibt. Die OSM Community betreibt Unterschiedsbildung auf ganz hohem Niveau! Konkret:

  • Der allgemeine, weltweite Standardname bleibt name: Golfo de México.
  • Es wurde geprüft und verworfen, das Label name:en umzunennen, denn es gibt neben Trump und Amerikanern (von denen wahrscheinlich auch nur die Hälfte den Namen „Gulf of America“ haben will) jede Menge anderer englischsprachiger Menschen und Staaten, die keine Veranlassung sehen, den Namen zu ändern.
  • Eine Seitendiskussion drehte sich um die Frage, ob die Executive Order nicht so zu verstehen sei, dass gar nicht der ganze „Golf von Mexiko“ gemeint sei, sondern nur die Küstenzone der USA. Woraufhin festgestellt wurde, dass es vielleicht noch genauer nur um den Meeresboden geht, was bedeuten würde, dass man „unterhalb“ des „Golf von Mexiko“ Labels ein „Gulf of Amerika“ Label hinzufügen müsste. Diese Suchrichtung wurde dann verworfen, da sich im Verlauf der Diskussion herauskristallisierte, dass diese Meinungen keine Traktion gewannen. Dabei fiel besonders auf, dass es offenbar insbesondere eine Person (mit Namen Minh Nguyễn) gab, die über eine große Autorität verfügte. Minh Nguyễn überzeugte mehrfach mit sehr präzisen Analysen und Fachwissen, und seine Beiträge sorgen sehr oft dafür, dass Namensoptionen verworfen oder stärker favorisiert wurden. Hier kann man über Entscheidungsprozesse lernen, dass selbst in zeitlich auseinandergezogenen Interaktionskontexten wie diesem Community-Thread Personen mit Autoritätszuschreibung einen großen Einfluss haben und sie diesen umso besser nutzen könnten, je gezielter und pointierter sie ihren Einfluss nutzen.
  • Nach mehreren weiteren Diskussionen pendelte sich der nicht disputierte Konsens darauf ein, im Fall der Fälle das neue Label official_name:en-US=„Gulf of America“ einzuführen und den Rest nicht zu ändern. Der Konsens war auch deswegen möglich, da man sich im Entscheidungsprozess auf ein Kriterium berufen hat, das für die Namensfindung bei der OSM Community oberste Priorität hat: nämlich die Frage, welche Bezeichnungen von den Menschen vor Ort in der Praxis verwendet werden. Und so betrachtet hat Trump vielleicht die Hälfte der USA auf seiner Seite, ist dann aber gegenüber dem Rest der Welt und der Hälfte seines Landes hoffnungslos unterlegen. Hier nun die wohlüberlegte Zusammenfassung einer sehr zivilisierten Diskussion:
    »The OSM approach will be similar.  name and name:en will certainly remain “Gulf of Mexico”. The only way this would change is if real world usage of this common name drops off dramatically in favor of the proposed alternative. This seems an unlikely outcome to me. What we will record in the OSM database is the fact that the federal government of the United States has designated Gulf of America as the official name. We will add the official name once it has been added to the Geographic Names Information System 1 (GNIS). This will be the point that the name is in fact official.  […] When a GNIS change does happen, the only question is which key we will use. As noted above, it won’t be name or name:en. If the Gulf of Mexico were fully within the borders of the US, nat_name or official_name could be a good fit, meaning “the nationally recognized or official name used by the containing country”. A significant portion of the gulf is beyond the US border so these keys are not appropriate. […] official_name:en won’t work because it would would imply that all English speaking nations agree on the official name. The more specific official_name:en-US means “the official name in United States English”. This gets us much closer. Although there is some slight nuance between this meaning and “the official name designated by the US federal government”, I think this should be close enough for the time being.«
  • Fun Fact und wichtig zu wissen: es ist eine Sache, wie OSM ihre Labels gestaltet, eine andere, welcher dieser Labels von den Verwendern (z.B. Wanderkartenherstellern wie Komoot) genutzt werden. Wenn Letztere wie zu vermuten auf die Keys name oder name:en zugreifen, wird die Ergänzung des offiziellen Namens durch die US-Regierung für die meisten Nutzer gar nicht sichtbar sein. Nur weil etwas von einer Partei auf eine Art bezeichnet wird, heißt es noch lange nicht, dass diese Bezeichnung von anderen Parteien genutzt wird. Es geht also oft bei Entscheidungen um Kopplungsphänomene zwischen Systemen.


Zumindest bei OSM sind Trumps Entscheidungen nur ein Sturm im Wasserglas, der allerdings viel Energie absorbiert hat. Dazu ein Nutzer am 20. Februar, einen Monat nach der Inaugurationsrede:
This tiny part of the worlds oceans has seen19 changests within the first 16 years of OSM – within the last 31 days there were another 81 dealing with it. Plus a topic with 290 posts spinning around and around. What a waste of time.
With nothing but a signature under a piece of paper the initiators created a storm in the waterglass – some kind of chaos – and exactly that is their motivation and intention, I believe.
Und wer meint, einen noch besseren Namen zu haben und sich selbst entscheiden will, wie der Golf von Mexico zu nennen ist, dem sei diese Seite von MapQuest empfohlen, wo man seinen eigenen Namen einstellen kann.