Veränderungen führen

von Timm Richter

Die Gestaltung von Change in Organisationen ist eine wichtige und wiederkehrende Führungsaufgabe. Daher lohnt es sich, über die grundlegenden Mechanismen bei der Bearbeitung von Veränderungsimpulsen nachzudenken. Daraus lässt sich ein konzeptioneller Rahmen ableiten, den man als Startpunkt für Change-Vorhaben nutzen kann.

Missverständnis: Change ist gut & muss gegen Widerstände durchgesetzt werden

Im öffentlichen Diskurs dominiert das Narrativ vom kontinuierlichen Wandel, der durch die VUCA-Welt (volatile, uncertain, complex, ambiguous) notwendig wird. Nur die Organisationen, die sich schnell genug anpassen, überleben. Die Grundidee ist zu begrüßen, stellt sie doch die Überlebensfähigkeit der Organisation in den Mittelpunkt des Handelns. Allerdings lässt sich beobachten, dass dabei Veränderung oftmals einseitig überbetont wird. Veränderungsnotwendigkeit wird gar nicht mehr in Frage gestellt, Veränderung positiv gesehen und allen, die am Status Quo festhalten, wird – negativ bewertet – Widerständigkeit unterstellt. Es gibt also die, die vorangehen, und die, die bremsen; die Guten und die Bösen.

Eine solche Sicht auf Veränderung ist aus unserer Sicht doppelt problematisch. Zum einen ist Stabilität an den richtigen Stellen zu den angemessenen Zeitpunkten sehr nützlich. Organisationen sind genau dafür da, Leistungen – Produkte und Services – verlässlich in gleichbleibender Qualität zu erbringen. Wir wünschen uns eine Bahn, die pünktlich fährt oder Supermärkte, die ein verlässliches Sortiment vorhalten. Und nichts verstört Nutzer von Apps mehr, als wenn der Hersteller der App die Menüführung ändert oder andere Abläufe umstellt, an die man sich gewohnt hat – man denke nur an den Aufschrei, den es gab, als Facebook die Logik seiner Timeline verändert hat. Auch sind Veränderungen immer mit Risiken verbunden, denn das Neue kennt man nicht. „Never change a running system“ ist eine Heuristik mit viel Lebensweisheit, die auch Angel Merkel zu Wahlsiegen verholfen hat („Sie kennen mich“). Gewonnene Sicherheiten und stabile Verhältnisse sollte man nicht ohne Not aufgeben. Zum anderen ist die Vorstellung irreführend, dass Organisationen starr und damit unveränderbar sind.

Der Status Quo in Organisationen ist dynamisch, es findet ständig ein evolutionärer Drift statt, den man auch als Change 0. Ordnung bezeichnen kann. Selbst die sprichwörtlich (und in Deutschland leider auch sehr real) rückständigen Verwaltungen verändern sich. Auch hier gibt es in der Zwischenzeit deutlich weniger Faxgeräte und dafür Computer, mehr Teilzeit oder Webseiten im Internet. Veränderungen in der relevanten Umwelt von Organisationen, z.B. technische Veränderungen, der gesellschaftliche Wandel, Kritik oder Wettbewerb und die dadurch veränderten Erwartungen von (potenziellen) Mitarbeitenden sorgen für Irritationen, die fortlaufend zu Veränderungen in Organisationen führen. Oft kann man außerdem in Organisationen beobachten, dass Regeln und Meetings zunehmen, mehr Ressourcen angefragt werden und interne Komplexitäten zunehmen. Dann erlebt man plötzlich den Wunsch, dass genau diese Art der schleichenden Veränderung doch bitte aufhört und man beim Status Quo bleibt. 

Auch die Lage in Organisationen ist also durchaus volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig – was den Nutzen und die Risiken von Veränderung angeht. Vor diesem Hintergrund lohnt es, Wandel als nur eine Seite einer Differenz zu sehen, dessen andere Seite die Stabilität ist. Die Einheit dieser Differenz ist die notwendige Anpassung der Organisation an ihre relevante Umwelt. Dementsprechend geht es nicht (nur) um veränderungsfähige Organisationen, sondern um intelligente! Intelligenz bedeutet in der Lage zu sein, eine je nach Situation angemessene Wahl zwischen notwendiger Veränderung und gewünschter Stabilität zu treffen.

Geführte Veränderung beginnt mit einer ergebnisoffenen Überprüfung der Ausgangslage und der Bestätigung eines relevanten Ziels

Wenn der evolutionäre Drift in Organisationen als Change 0. Ordnung verstanden werden kann, dann bezeichnet Change 1. Ordnung gezielte Veränderungen. Die Einführung eines Ziels ist eine Führungsleistung. Startpunkt hierfür ist immer die Wahrnehmung und Bewertung einer (Nicht-)Soll/Ist-Differenz, also der erste Schritt der Führungsschleife.

Am Anfang eines jeden Veränderungsprojektes steht – zugegeben: nicht sehr originell – der Anfang. Irgendjemand (d.h. ein Beobachter, wer auch immer das sein mag) muss die Idee in die Kommunikation einführen, dass etwas (zum Besseren natürlich) verändert werden kann oder muss. Ohne sie gibt es kein Veränderungsprojekt. (Simon 2004)

Auch in agilen Kontexten mit kleinen iterativen Veränderungsschleifen und bewusst offenem Ausgang von Veränderungen findet immer eine Setzung, eine Problematisierung der aktuellen Situation statt. Ohne einen solchen rahmenden Startpunkt wäre es nicht möglich, mit Intentionen in das Geschehen einzugreifen und zu beurteilen, ob man Resultate, d.h. die Verminderung der (Nicht-)Soll/Ist-Differenz erreicht hat.

Sobald Führungskräfte einen Impuls für Veränderung erleben, d.h. wenn sie eine (Nicht-)Soll/Ist-Differenz wahrnehmen, sollten sie innehalten, bevor sie sich in Aktivitäten stürzen. Gezielte Veränderungen binden viele Ressourcen mit recht ungewissem Ausgang, deswegen sollte man dafür gute Gründe haben und im Zweifelsfalle von einem Veränderungsvorhaben Abstand nehmen Eine ausgewogene Würdigung der Ausgangslage präpariert Führungskräfte außerdem für die darauf folgenden Schritte.

Zunächst gilt es zu prüfen, in welchem Bezug der Veränderungsimpuls zur Überlebenssicherung der Organisation steht. Dafür wird mit einer Außenperspektive geschaut, auf welche Anpassungsnotwendigkeit bzw. -chance der Veränderungsimpuls verweist. Die Anpassung kann dabei drei Stufen mit abnehmender Dringlichkeit betreffen:

  • Sofortige Handlung: durch abrupte bzw. sich schleichend vollzogene, aber erst jetzt bemerkte Veränderungen in der Umwelt kann sich ein dringender Handlungsbedarf ergeben. Dieser wird dann krisenhaft wahrgenommen. Z.B. führte der Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 zu einer akuten Energiekrise, die für manche Unternehmen existenzbedrohend war. Auch haben viele Organisationen in dem Augenblick realisiert, wie abhängig sie sich in den letzten Jahren von wenigen Vorlieferanten gemacht haben, was zu einem Umdenken bei der Beschaffung führen kann. Genauso gut können solche Veränderungen in der Umwelt ein Fenster für Disruption öffnen, das Organisationen positiv nutzen wollen. So hat z.B. Microsoft in der KI-Technologie von OpenAI die Möglichkeit gesehen, Google in seiner Vormachtstellung für Internet-Suche anzugreifen, und dafür viele Milliarden ausgegeben.
  • Absehbare Entwicklungen: Organisationen können auch dann notwendigen Veränderungsbedarf feststellen, wenn die Fortschreibung aktuell beobachteter Entwicklungen mittelfristig zu Problemen führen. Ein allgemeines Problem dieser Art ist der vielseits und schon seit einigen Jahren beklagte Fachkräftemangel, dessen Dramatik inzwischen zunimmt. Hieran lässt sich erkennen, dass Veränderungen schwieriger zu motivieren sind, wenn die Dringlichkeit noch nicht spürbar ist und die Veränderung schleichend von statten geht. Auch für die absehbaren Entwicklungen gibt es nicht nur Risiken, sondern auch Chancen, die Anlass für Veränderungen geben können. In der Automobilbranche z.B. bieten die Digitalisierung und die Verschiebung der Wertschöpfung von physischer Montage zu intelligenter Systemintegration Chancen für Nicht-Automobilhersteller, in diesen Markt einzutreten.
  • Veränderung 2. Ordnung: Ein weiterer Grund für Veränderung, der die Überlebensfähigkeit von Organisationen betrifft, ist die Anpassungsfähigkeit an sich. Es kann notwendig sein, die eigene Resilienz zu erhöhen, sich also stabiler gegenüber Umweltveränderungen zu machen oder aber die Fähigkeit zu erhöhen, Veränderung im Sinne einer vorausschauenden Selbsterneuerung zu betreiben. Anpassungsfähigkeit zu verändern ist Change 2. Ordnung.

Den genannten Gründen für Veränderung, die alle – wenn auch mit Unterschieden in zeitlicher Nähe und Bedrohungspotenzial – an die Überlebenssicherung von Organisationen gekoppelt sind, stehen mindestens zwei Gründe gegenüber, die man für eine Veränderung nicht akzeptieren sollte. Zum einen sind dies Änderungen, die Mittel und Zweck verwechseln. Wer z.B. Agilität nur deswegen einführt, weil man Agilität gut findet und alle sie nutzen, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Auch bei Einführung von neuer Software passiert es z.B. sehr häufig, dass solche Veränderungen ihr eigentliches Ziel, den Beitrag zur Überlebenssicherung, aus den Augen verlieren oder sogar nie wirklich artikuliert haben. Zum anderen sind solche Veränderungen zu vermeiden, die man nur deswegen betreibt, um Langeweile zu vermeiden oder die Bedeutung der eigenen Organisationseinheit bzw. des Managements in Erinnerung zu rufen.

Bevor ein Veränderungsprozess ernsthaft gestartet wird, sollte die wahrgenommene (Nicht-)Soll/Ist-Differenz in eine greifbarere Zielvorstellung übersetzt werden. Dabei helfen sowohl eine qualitative, assoziationsreiche Beschreibung also auch die Nennung von möglichst konkreten Merkmalen oder sogar orientierende Kennzahlen, an denen man die Erreichung des Ziels erkennen kann. Dies spiegelt den Versuch wider, eine sachlich und emotional überzeugende Anziehungskraft für das Ziel zu entwickeln. Ein Unternehmen, das bisher Fleisch verarbeitet hat, könnte z.B. das Ziel ausrufen, eine Sparte für vegane Produkte aufzubauen, die als zweites Standbein auf Augenhöhe mit der Fleisch verarbeitenden Sparte arbeitet und einen Umsatzanteil von 50% erzielt.

Die Schärfung eines möglichen Zielbildes sollte um die Würdigung des Status Quo ergänzt werden. Es ist ein Zeichen von Umsicht, der Organisation eine eigene Systemrationalität zuzusprechen. Es wird Gründe geben, warum sich der Status Quo etabliert und erhalten hat. Diese sollten identifiziert werden, auch um zu definieren, welche Aspekte des Status Quo in jedem Falle erhaltenswert sind! Dies ist ein Hinweis darauf, dass in Organisationen fortwährend Paradoxien mit zwei Polen auftauchen, die jeweils Vor- und Nachteile mit funktionalen und dysfunktionalen Aspekten mit sich bringen. Es gilt in dieser ersten Phase einer möglichen Veränderung, die hinter dem Veränderungsimpuls liegende(n) Paradoxie(n) zu identifizieren und sich sehr bewusst zu fragen: was wäre der Preis der Veränderung? Was passiert, wenn nichts passiert? Was können wir gewinnen … und verlieren?

Wir haben diesen Abschnitt dahingehend gerahmt, dass Führungskräfte zunächst ihren Veränderungsimpulsen nachspüren. Das Gesagte gilt gleichermaßen für alle, die in einer Organisation gezielte Veränderungen herbeiführen möchten, also auch Mitarbeitende, Teams oder jegliche Art von Bottom-up Bewegungen. Damit ein Führungsimpuls für Veränderung in einer Organisation Erfolg haben kann, bedarf er jedoch einer stärkeren organisationalen Verankerung.

Organisationale Veränderungsvorhaben starten mit einer Mobilisierung von Führung

Für die Bearbeitung von organisationalen Veränderungsvorhaben halten wir einen zweistufigen Prozess für sinnvoll. Zunächst und in diesem Abschnitt beschrieben ist die Rahmung des Veränderungsvorhabens, die Setzung eines Kontextes für einen Veränderungsprozess. Wir hatten bereits festgestellt, dass gezielte Veränderung immer geführt wird, also brauchen wir einen organisationalen Nucleus, von dem die Führungsschleife des Veränderungsvorhabens initiiert und am Laufen gehalten wird. Und wir brauchen eine Abgrenzung, welche Organisationseinheiten von dem Veränderungsvorhaben betroffen sind (das könnte auch die ganze Organisation sein). Die Grenzziehung erfolgt nach dem Grundsatz „so eng wie möglich, so weit wie nötig“, da Veränderungen immer mit Risiken verbunden sind und man bestehende Stabilität nicht unnötig aufs Spiel setzen möchte.

Der (temporäre) Nucleus für den Veränderungsprozess wird in der Regel durch ein Kernteam gebildet (in größeren Organisationen ggf. ergänzt durch einen Lenkungsausschuss[1]). Es handelt sich um einen kleinen Kreis, der den ersten Veränderungsimpuls auf eine breitere Basis stellt und den Rahmen definiert, innerhalb dessen Kommunikationen und Entscheidungen der Veränderung prozessiert werden. Die Zusammensetzung des Kernteams ist von Fall zu Fall unterschiedlich, erwartbare Rollen sind jedoch: Personen mit formaler Entscheidungskompetenz, Projektorganisatoren:innen, interne und/oder externe Berater:innen, Vertreter:innen von betroffenen Bereichen, ggf. Betriebsrät:innen. Die Perspektivenvielfalt sollte möglichst breit gehalten, vermuteter „Widerstand“ am besten eingebunden werden. In jedem Falle ist dafür zu sorgen, dass das Kernteam alle relevanten Stakeholder für den Veränderungsprozess gut im Blick hat.

Dieses Kernteam orchestriert den Veränderungsprozess. Mit anderen Worten: die Organisation erfindet eine vorübergehende Form jenseits der bestehenden Struktur bzw. Logik der Organisation, um den Veränderungsimpuls adäquat zu bearbeiten. Dies bedeutet zu steuern, wer wann mit wem in welchem Format über welche Themen der Veränderung spricht; und wann welche Entscheidungsprozesse über welche Entscheidungen stattfinden sollen. Dabei sollte man so partizipativ wie möglich vorgehen. Auch ist es hilfreich proaktiv zu definieren, wie man mit Erwartungen und Spannungen (z.B. Zeiteinsatz Veränderungsvorhaben vs Tagesgeschäft, Top-Down-Vorgaben vs Bottom-up Involvierung, Teilinteressen vs Gesamtinteressen) plant umzugehen. Eine weitere wesentliche Aufgabe dieses Kernteams ist es, in einer ersten Kommunikation in die Organisation den Rahmen für das Veränderungsvorhaben zu setzen. Diese Kommunikation versucht, drei Fragen zu beantworten:

  1. Warum starten wir dieses Veränderungsvorhaben?
  2. Was ist das Ziel des Veränderungsvorhabens (qualitative Beschreibung und Merkmale der Zielerreichung)?
  3. Wie sieht der Prozess für den Veränderungsprozess aus?

Die intensive Auseinandersetzung mit der Ausgangslage sollte die Basis für die Antworten zu den ersten beiden Fragen ermöglichen, Antworten zur dritten Frage werden vor allem vom Kernteam festgelegt.

Geführte Veränderung klinkt sich ein in den evolutionären Prozess von Variation, Selektion und Retention

Die konkreten Maßnahmen der Veränderung hängen von der spezifischen Situation und dem gewünschten Ziel ab, sie erfordern daher Improvisation und lassen sich nicht per Rezept standardisieren. Wir können aber allgemeine Heuristiken nennen:

Veränderungen – egal ob geführt oder sich über Zeit ergebend – folgen immer dem gleichen Muster aus drei Schritten: zunächst werden etablierte und stabile Weisen der Kommunikation, also z.B. Formen der Diskussion, Arbeitsweisen, Prozesse oder Abläufe, variiert. Damit zeigen sich neue bzw. andere Möglichkeiten, wie die Organisation auch operieren könnte. Das kann z.B. dadurch passieren, dass Mitarbeitende ein verändertes Kundenverhalten beobachten und diskutieren, wie man darauf reagieren sollte. Oder eine neue Führungskraft wundert sich über die Bearbeitung von Geschäftsvorfällen, die sie in der alten Firma ganz anders gewohnt war. In einem zweiten Schritt der Selektion wird dann aus diesen neuen oder anderen Möglichkeiten des Handelns eine oder auch Kombinationen ausgewählt, es kommt also zu einer Veränderung der Art und Weise, wie in der Organisation kommuniziert und gehandelt wird. Damit sich aber eine Veränderung etabliert, müssen sich veränderte organisationalen Muster in der Praxis so bewähren, dass sie sich stabilisieren. Diesen dritten Schritt nennt man Retention.

Abstrakt gesehen, geht es um die gezielte Organisation der drei Schritte evolutionärer Veränderung: 1. Variation, 2. Selektion, 3. Retention bzw. besser: Repetition (da es sich nicht um die Stabilisierung einer statischen Struktur, sondern von Prozessmustern handelt, muss die Wiederholung und Routinisierung der neuen Muster sichergestellt werden). (Simon 2004)

Jede Veränderung in Organisationen durchläuft also die Phasen Variation – Selektion – Retention, und zwar im Kern immer selbstorganisiert. D.h. Veränderungen können nicht erzwungen werden. Bei geführten Veränderungen versucht man, in jeder der drei Phasen die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass man sich dem gewünschten Ziel nähert. Die Organisation reagiert auf diese Führungsversuche. Manchmal kommt man seinem Ziel näher, in anderen Fällen ergeben sich Rückschläge. Es ist nützlich, diesen Eigensinn der Organisation bei Veränderungsvorhaben zu thematisieren, um Enttäuschungen bei Rückfällen vorzubeugen.

Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, die bestehenden organisationalen Muster zu verändern: man kann neue Elemente hinzufügen, die Konfiguration des Musters ändern oder auch Elemente weglassen. Der erste Impuls ist oft die Einführung neuer Regeln. Wenn man z.B. feststellt, dass bei Kundenbeschwerden Kulanzen unterschiedlich gehandhabt werden, kann man hierfür Standards einführen. Oder man versucht, Prozesse durch Digitalisierung zu verbessern. Beispiele für Konfigurationsänderungen sind eine Reorganisation, die Umstellung eines Produktionsprozesses oder auch die Anpassung von Grenzwerten in der Qualitätssicherung. Häufig übersehen wird die Möglichkeit, Dinge einfach wegzulassen – weniger ist manchmal mehr. So könnte man z.B. bestimmte Standardmeetings abschaffen oder die Anzahl der Stellen reduzieren, die bei Entscheidungen zustimmen müssen. Ziel von den genannten Veränderungen ist es, entweder gewünschte Muster zu verstärken oder aber nicht (mehr) gewünschte Muster zu unterbrechen.

Interventionen im Rahmen von Veränderungsprozessen lassen sich nach den drei Phasen Variation, Selektion und Retention unterscheiden. Bei der Variation geht es um die Erweiterung des Möglichkeitsraumes. Hier ist vor allem Kreativität gefragt. Man beginnt damit, andere Möglichkeiten überhaupt zu denken. Planungsphasen sind nichts anderes als sich vorzustellen, welche Alternativen mit jeweiligen Vor- und Nachteilen es gibt. Solche Formen von Gedankenexperimenten gehen am schnellsten und sind auch besonders günstig. Ein Schritt weiter, aber noch innerhalb der Variationsphase, ist Probehandeln. In ersten Experimenten oder Piloten können Erfahrungen mit veränderten Mustern gesammelt werden. Auch ist es möglich, Neues und Anderes erst einmal informell auszuprobieren. Alle diese Varianten erkunden Möglichkeiten, ohne dass diese bereits als neuer Standard entschieden sind.

Entscheidungen erfolgen in der Selektionsphase. Hier wird auch der Unterschied zwischen geführten Veränderungen und Veränderungen durch evolutionären Drift deutlich. Letztere schleichen sich ein, passieren unmerklich und von allein. Geführte Veränderungen auf ein Ziel funktionieren nur über entscheidbare Entscheidungsprämissen. Erst in dem Augenblick, wo Experimente als offiziell beendet, Informelles formal bestätigt / abgelehnt und dem Probehandeln der Status des Vorläufigen durch Entscheidung entzogen wird, weiß eine Organisation, dass eine Veränderung gewünscht ist.

In der dritten Phase gilt es dann, die entschiedene Veränderung zu etablieren. In Veränderungsvorhaben sollten jetzt die Resultate der geänderten Entscheidungsprämissen kontinuierlich reflektiert werden. Dazu gehören das Nachhalten einschließlich Sanktionierungen bzw. das Sichtbarmachen von Erfolgen.

Die drei Phasen Variation, Selektion und Retention folgen linear aufeinander. Gleichzeitig sind jederzeit Iterationen möglich. Bereits zum Zeitpunkt der Variation werden Möglichkeiten verworfen und andere gefunden, vor dem Treffen von Entscheidungen können Zweifel aufkommen und nach Entscheidungen gewinnt man Erkenntnisse, die zu weiteren Anpassungen oder auch der Revision von Entscheidungen führen können. Die oben genannten Rückfälle sind – positiv konnotiert – genau diese Iterationsschleifen. Geführte Veränderung bedeutet, in diesen iterativen Prozess steuernd einzugreifen, also beim Driften zu navigieren.

Gebote zur Gestaltung von Veränderungen

Damit ergeben sich zusammenfassend folgende Gebote für geführte Veränderungen:

  • Fokussiere auf Veränderungsvorhaben, die für die – auch ohne akute Bedrohung weit vorausschauende – Überlebensfähigkeit der Organisation relevant sind!
  • Gestalte episodische Veränderung immer derart, dass die Veränderungsfähigkeit der Organisation gestärkt wird!
  • Starte jede Veränderung mit einer initialen Mobilisierung von Führung für den Prozess!
  • Schaffe Raum für Variation, selektiere über Abschaffung oder Neuerschaffung von entscheidbaren Entscheidungsprämissen und stabilisiere über die Reflexion von Resultaten hin zur Retention!
  • Rechne immer mit Evolution und navigiere beim Driften!
Literatur

Simon, Fritz B. Gemeinsam sind wir blöd!? die Intelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten. Fünfte Auflage. Management. Heidelberg: Carl-Auer, 2019. Erstauflage 2004


[1] Mit einem Lenkungsausschuss werden Richtlinienkompetenz und (strategische) Entscheidungsmacht aus dem Kernteam ausgelagert.