Vertrau mir! – Wie funktioniert Vertrauen?

von Timm Richter

Mit Vertrauen ist das so eine Sache. Sehr verbreitet ist die Idee, dass die Welt so viel besser, das Leben so viel schöner wäre, wenn alle sich mehr vertrauen würden1. Diese durchaus nachvollziehbare Sehnsucht kann allerdings einen abgeklärteren Blick auf Vertrauen behindern und man sieht dann nicht, welchen Wert aber auch Preis Vertrauen hat. Wie man die Wahrscheinlichkeit von Vertrauen erhöhen kann, darüber haben wir letzte Woche in unserem Online-Kurs »Wirksam führen« gesprochen.

Zunächst: Streng genommen ist es mit dem Vertrauen sehr einfach. Um mehr zu vertrauen, muss man … einfach nur … mehr vertrauen. Das ist deswegen schwer zu akzeptieren, da diese Behauptung offenlegt, dass jegliches Vertrauen immer ein Sprung ins Ungewisse ist, den man im strengen Sinne nicht begründen, rational nicht rechtfertigen kann. Niklas Luhmann bezeichnet Vertrauen als „überzogene Information“ (Luhmann 1968, S. 40) mit Blick auf eine unsichere Zukunft. Einer Person zu vertrauen bedeutet, sich auf sie zu verlassen in dem Wissen, dass man auch enttäuscht werden kann … und es trotzdem zu tun. Z.B. den Ratschlägen einer Ärztin bei einer Behandlung oder den Empfehlungen eines Concierge für Restaurants zu folgen ohne ausreichend Informationen bzw. Wissen zu haben, um die Folgen dieses Folgens abschließend bewerten zu können. (Willens)entscheidungen der Person, der man vertraut, werden von der Person angenommen, die vertraut. Vertrauen überträgt also Selektionsleistungen und reduziert so Unsicherheit. Gleichzeitig sorgt Vertrauen dafür, den Möglichkeitsraum von Handlungen zu erweitern. Wer überhaupt kein Vertrauen in Menschen und die Welt hat, bleibt den ganzen Tag im Bett liegen und geht kein Risiko ein. Wer hingegen sich (ver)traut, Entscheidungen zu treffen, wer auch anderen vertraut, dem eröffnen sich neue Horizonte, mehr und anderes wird möglich.

Eine Bitte um (mehr) Vertrauen wird als Vertrauensvorschuss angesehen, also als ein ungedeckter Check. In dieser Formulierung ist „Vertrauensvorschuss“ ist doppelt gemoppelt, ein Pleonasmus, denn Vertrauen ist als risikoreicher Sprung ins Ungewisse immer ungedeckt. Meist ist damit gemeint, dass es noch keine ausreichende Basis für Vertrauen gibt und man hofft, dass auf sie verzichtet wird. Diese Basis ist die Information, die nach Luhmann überzogen wird, es ist das Vertraute. Vertrautheit orientiert sich an der Vergangenheit, es ist das, was man schon (mehrfach) erlebt hat, und was man also deswegen (zu Recht) erwarten kann, womit zu rechnen ist. Aber nur wenn man über das Vertraute hinausgeht, Bekanntes „überzieht“, schenkt man Vertrauen. Das Vertraute (= das auf Basis der Vergangenheit Erwartbare) ist die Absprungbasis für Vertrauen, das somit eine ganz andere Qualität hat. Manche brauchen sehr viel Vertrautheit, um dann nur einen ganz kleinen Sprung zu machen (sicherheitsorientierte Menschen), andere brauchen fast gar keine Vertrautheit, um jedem und allem zu vertrauen (Menschen mit grenzenlosem Urvertrauen). 

Heißt: dass andere einem selbst vertrauen, kann man nicht erzwingen, springen müssen die anderen schon selbst. Mit vertrauensbildenden Maßnahmen sind präziser vertrautheitsbildende Maßnahmen gemeint, die die Absprungbasis (= Vertrautheit) erweitern in der Hoffnung, dass die anderen überhaupt bzw. weiter springen, eben weil sie für ihre Risikoübernahme mehr Vertrautheitssignale benötigen und dann bekommen.

Vertrautheit kann in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension aufgebaut werden. In der Sachdimension spricht Luhmann (Luhmann 1975, S. 75) von Reputation. Wer sachliche Expertise in einem Feld demonstriert hat, dem wird eher zugetraut, dass er auch in einem verwandten Feld gute Ergebnisse liefert. Einem erfolgreichen Fahrer der Formel 2 wird z.B. eher ein Cockpit in der Formel 1 angeboten, oder man zieht die Studentin der Betriebswirtschaftslehre dem Kunststudenten vor, wenn man Unterstützung bei der Erstellung des Jahresabschlusses braucht.

Mit Blick auf die Sozialdimension geht es um Wohlwollen und Gefolgschaft (Niklas Luhmann konzentriert sich auf Letzteres und nennt es Führung). Wenn ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber mir nichts Böses will, dass er oder sie in meinem Sinne handelt, dass wir also die gleichen Interessen haben und uns ähnlich sind (Vertrautheit!), dann vertraue ich dem gegenüber eher. Noch viel stärker wirken die sozialen Signale, wenn andere Personen dem Gegenüber folgen, die Gefolgschaft der anderen ist eine stabile Absprungbasis dafür, dass auch ich dieser Person vertraue. Dabei können Vertrautheitssignale in der Sozialdimension auch Vertrauen in der Sachdimension erzeugen, z.B.: Wenn ein Influencer für Outdoorgrillen eine Million Follower auf Instagramm hat, dann vertraut man seinen Rezepten für das beste Steak, obwohl man gar nicht so genau weiß, warum die Follower ihm folgen. Und dem Reisetipp des Nachbars folgt man auch dann, wenn er nicht im Reisebüro arbeit – man kennt sich eben …

Autorität entsteht über Zeit. Einer Autorität folgt man in ihren Urteilen, da man ungeprüft annimmt, dass sie auf Nachfrage ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen könnte. In der Vergangenheit wird sie wahrscheinlich Leistungen in der Sach- oder Sozialdimensionen erbracht haben, aber heute kann man sich an diese Quellen gar nicht mehr genau erinnern. Z.B. beruht der Erfolg von Heiner Geißler oder Hans-Dietrich Genscher als Schlichter auf der Autorität, die sie sich in der Vergangenheit erarbeitet haben.


Obwohl man also (als Führungskraft) Vertrauen nicht erzwingen kann, kann man über Vertrautheitssignale in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension Vertrauen wahrscheinlicher machen. Der Versuch lohnt sich.

Literatur

Luhmann, N. (1968): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart (Lucius & Lucius), 4. Aufl. 2009.

Luhmann, N. (1975): Macht. Stuttgart (Lucius & Lucius), 3. Aufl. 2003.


  1. Spoiler: Wenn alle sich gegenseitig vertrauen, weiß man immer noch nicht, wie man in schwierigen Situationen entscheiden soll. Mehr Vertrauen sorgt nicht für Konsens, Konflikte bleiben weiterhin unvermeidlich. ↩︎