Wenn Berater:innen forschen

Gerhard P. Krejci

Ein Blick auf Rahmenbedingungen und Herangehensweise eines nicht alltäglichen und voraussetzungsvollen Vorhabens.

What the devil is going on?“ fragte sich der Anthropologe Clifford Geertz zu Beginn seiner Forschungsarbeiten (vgl. Geertz 1973). Wenngleich nicht ganz so drastisch, so stellten wir uns eine ähnliche Frage. Uns interessierte, wie etablierte, große Organisationen mit den allseits propagierten neuen Organisationsformen (vgl. Laloux 2014; Robertson 2015, Bischof und Kohn 2015) umgehen: Wie führen sie diese ein und welche Probleme stellen sich? Aus diversen Gesprächen mit Kolleg:innen wussten wir zugleich, dass auch diese sich mit den aktuellen Trends im Design von Organisationen intensiv beschäftigen. Und so fragten wir in unserem Netzwerk von Simon, Weber and Friends: „Habt ihr Lust, zu den neuen Organisationsformen zu forschen?“. Mehr als 40 Personen meldeten sich und wollten mitwirken. Eine überwältigende Reaktion, mit der wir – ehrlich gesagt – nicht gerechnet hatten. 

Vor diesem Hintergrund stellten sich interessante Fragen: Wie gehen Berater:innen an diese Forschungsaufgabe herangehen? Worin liegen die Unterschiede zur Beratung? Womit sollten sie sich auseinandersetzen, wenn sie forschen wollen?

New Organizing – Empirie trifft Theorie

Was passiert, wenn größere Unternehmen Konzepte der Organisationsgestaltung einführen, die gerade im Trend liegen? – Mit Blick auf den Abschluss unseres gleichnamigen Forschungs- und Buchprojekts laden wir ein zu einer Expedition in die Welt des „New Organizing“. Wie auch im Herausgeberband werden die Beitragsautor:innen regelmäßig  – bis zur Veröffentlichung im Oktober – Einblicke in die Innenwelt von Konzernen und größeren Organisationseinheiten geben, die sich mit der Einführung neuer, „agiler“ Methoden bis hin zu neuen Organisationsformen befassen. Ergänzend werden Theorie- und Forschungshintergründe präsentiert und vor allem Ausblicke gegeben, worauf Führung und Beratung zukünftig zu achten haben, wenn sie neue Organisationsansätze parallel zu vorhandenen Konzernstrukturen wirksam einführen möchten.

Beratung und Forschung

Grundsätzlich verfolgt Beratung das Ziel, die mit dem Kunden vereinbarten Ergebnisse (wie detailliert diese auch formuliert sind) zu erreichen. Die Ziele einer Beratung werden in der Regel im Rahmen der Auftragsklärung vereinbart – und bei Bedarf angepasst. Natürlich ist für Berater:innen die Zufriedenheit ihrer Kunden ein wichtiges Kriterium der Bewertung ihrer Tätigkeit (immerhin freut man sich, wenn man wieder beauftragt oder zumindest weiterempfohlen wird).

Sofern es sich nicht um Auftragsforschung handelt, definieren Forscher:innen in der Regel ihre Ziele selbst, indem sie ein spezielles Interesse eingrenzen und ihre Fragen formulieren, auf die sie im Rahmen der Forschung Antworten finden wollen. Wer forscht, sollte möglichst Unabhängigkeit anstreben und sich bei der Auswertung nicht von außen beeinflussen lassen (Stichwort: „Freiheit der der Forschung“). Forschung lebt davon, dass die Ergebnisse von anderen nachvollzogen, diskutiert, mitunter auch kritisiert werden können. Soweit die ersten, wichtigen Rahmenbedingungen, auf die wir uns alle einstellen mussten.

In unserem Fall sollten mehrere Organisationen, durchaus aus verschiedenen Branchen und mit den verschiedensten „New Work“-Ansätzen, untersucht werden. Das erforderte eine kollektive Abstimmung des Forschungsprozesses: Wie wollen wir mit den Organisationen in Kontakt kommen? Wie sollen Daten erhoben und ausgewertet werden? Wann wollen wir die Zwischenergebnisse abstimmen? Was passiert mit den Ergebnissen?  

Diese und ähnliche Fragen behandelten wir in mehreren Treffen in Berlin und in Wien. Wir organisierten Forschungsteams (s. weiter unten), die sich in ihrer Arbeit selbst steuerten und bei Bedarf einen Ansprechpartner aus dem Herausgerber-Team zugeteilt hatten. Darüber hinaus gab es eine Online-Plattform, auf der Gedanken und Ideen, Fragen und Antworten ausgetauscht werden konnten. Auf diese Art haben wir alle eine kleine „Forschungsorganisation auf Zeit“ aufgebaut. 

Den Feldzugang ermöglichen

Wer empirisch forschen will, benötigt idealerweise jemanden, der oder die den Zugang zum „Feld“ ermöglicht. Wir hatten das Glück, dass wir einige solcher „Gatekeeper“ (vgl. Lewin 1947) im Netzwerk fanden. Sie stellten den Zugang zur Organisation her und standen den Forscher:innen mit Rat und Tat zur Seite für einen guten Beginn der Forschung. Allerdings mussten unsere Akteur:innen trotz der dabei entstandenen intensiven und vertrauensvollen Beziehungen darauf achten, dass es nicht zu unerwünschter und unbeabsichtigter Einflussnahme kam. Hatten Gatekeeper auch Interesse am forscherischen Tätigwerden, so schlossen sie sich anderen Forschungsteams an. 

Darüber hinaus war darauf zu achten, ob die forschenden Berater:innen in der zu beforschenden Organisation in der Vergangenheit beratend tätig waren. Die Verführung, die bestehenden Beziehungen zu pflegen, eventuell die eigenen Arbeiten zu thematisieren bzw. zu evaluieren, wäre kontraproduktiv gewesen. Man würde mehr als ehemalige Berater:in auftreten und auf bestehendes Wissen aufbauen und weniger als nach allen Seiten interessierte Forscher:in, die neugierig nachfragt. Sinnvollerweise sollte auch während des Forschungsprozesses darauf geachtet werden, dass keinerlei „Akquise“-Absichten ins Spiel gebracht werden. Das hätte nicht nur den Forschungsprozess behindert, sondern auch die Akzeptanz der Ergebnisse beeinträchtigt. Alle unsere Forscher:innen vereinbarten untereinander, diese wichtigen Voraussetzungen einzuhalten.

Die Forschung im Team

Forschung ist idealerweise Teamarbeit, denn die Vielzahl der hier erwähnten Anforderungen würde Einzelpersonen überfordern. Und insbesondere, wenn man sich dazu entschließt „qualitativ“ zu arbeiten (vgl. Froschauer und Lueger 2003), empfiehlt es sich in Forschungsteams zu arbeiten. Diese Teams sollten in gut überschaubarer Größe zusammengestellt werden (2-4 Personen fanden wir als angemessen) und sich als eine eigenständige, soziale Einheit konstituieren. Im Zuge eines Treffens aller Forscher:innen bildeten sich in unserem Projekt insgesamt 15 Forschungsteams.

Neben den üblichen Fragen, die Teamkonstellationen mit sich bringen, musste das methodische Vorgehen abgestimmt werden. Wie gehen wir vor? Wonach fragen wir und worauf richten wir unsere Beobachtungen? Welche Methoden verwenden wir? 

Als systemische Berater:innen war uns selbstverständlich klar, dass jede Beobachtung des Feldes auch die Beobachter:innen des Feldes inkludiert. Das bedeutete, dass die Forscher:innen regelmäßig auch den Blick auf sich selbst bei den Beobachtungen des Feldes richten müssen. Warum haben wir diese oder jene Frage ausgearbeitet bzw. spontan gefragt? Wie haben die Befragten auf unsere Fragen reagiert? Welche Fragen haben wir vergessen zu stellen – und warum wohl? Was haben wir während der Forschung beobachtet und wie können diese Beobachtungen mit der Forschungsfrage in Zusammenhang gebracht werden? Wie beobachten wir uns selbst beim Beobachten des Feldes? Und welche Auswirkungen hat dies auf unsere Schlussfolgerungen?

Last, but not least bedeutet Teamarbeit (vgl. Heintel 2006), dass die Forschungsteams im Bedarfsfall mit internen Unstimmigkeiten und Konflikten umgehen mussten. Wer arbeitet wieviel mit? Wer übernimmt für welche Tätigkeiten die Verantwortung? Wer steuert den Prozess? Wie verhandeln wir unterschiedliche Sichtweisen? Wer schreibt den Abschlussbericht? Und wer tritt wie nach außen auf? Tatsächlich erwies es sich als wichtige Ressource für die Forschungsteams, dass sich unsere forschenden Berater:innen auf Erfahrungen aus gruppendynamischen Trainings beziehen konnten. Übrigens: In manchen Teams gab es sehr wohl den einen oder anderen Streit, der jedoch immer gut bearbeitet und auch produktiv gelöst wurde.

… und dann noch publizieren

Diese hier kurz angedeuteten Fragenstellungen zeigen, wie voraussetzungsvoll die Arbeiten unserer 15 Forschungsteams waren. Forschen alleine ist ein arbeitsintensives Unterfangen, allerdings sollten die Ergebnisse gut aufbereitet und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Daher entschlossen sich die 15 Forschungsteams zu einer gemeinsamen Publikation, die nun nach sehr intensiven Arbeiten veröffentlicht wird. Damit soll diesem wahrlich spannenden Projekt ein würdiger Abschluss gegeben werden. 


Das Buch „New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holacracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann“ erscheint Anfang Oktober 2021 im Carl-Auer Verlag. Vorbestellungen sind hier möglich. Am 1. Oktober 2021 findet außerdem unsere Online-Tagung zum Buch. Weitere Informationen gibt es hier.


Weitere Literatur:

  • Geertz, C. (1973): „Thick Description: Toward an Interpretive Theory of Culture“ in „The Interpretation of Culture”. New York: Basic Books, dt.: “Dichte Beschreibung”, Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  • Bischof, H. und Kohn, I. (2015): „Werkzeugkiste: Mit Scrum zur agilen Organisation“, OrganisationsEntwicklung Nr. 3/2015, S. 90-95
  • Laloux, F. (2014): „Reinventing Organiziations“, Brussels: Nelson Parker, dt.: „Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit“.
  • Robertson, B. J. (2015): „Holacracy: The New Management System for a Rapidly Changing World“, New York: Henry Holt and Company 
  • Lewin, K. (1947): “Frontiers in Group Dynamics: Concept, Method and Reality in Social Science; Social Equilibria and Social Change”; in: Human Relations No 1/1947, pp 5-41.
  • Froschauer, U.; Lueger, M. (2003): „Das qualitative Interview: Zur Analyse sozialer Systeme“, UTB-Taschenbuch, Wien. 
  • Heintel, P. (Hrsg.) (2006): „betrifft: TEAM. Dynamische Prozesse in Gruppen“, 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.