Don’t look up

“Don’t look up” ist derzeit in aller Munde…  Ich habe diesen mit vielen Hollywoodstars besetzten Netflix-Film mit hohen Erwartungen gesehen und war sehr davon angetan, wie “sauber” die gesellschaftlichen Teilsysteme “Wissenschaft”, “Politik”, “Massenmedien”, “Wirtschaft” mit ihren je eigenen Rationalitäten, Codes und Programmen dargestellt wurden. Damit folgt der Film einer schon vor mehr als 40 Jahren gestellten Diagnose von Luhmann, dass eine funktional differenzierte Welt als heterarchisch anzusehen ist. Es gibt keine Spitze, kein Primat eines Teilsystems und damit auch keine Steuerungseinheit …     

Zurück zum Film: Einher mit der “sauberen” Trennung der Systeme geht (m.E. leider) eine zu starke satirische Überzeichnung der Akteure, die irgendwie quer liegt zur passenden Gesellschaftsdiagnose. Aber man kann es auch anders formulieren: Uns wird vorgeführt, wie die Gesellschaft in den Grundzügen funktioniert, und warum es national / global so schwer bis unmöglich ist, überlebensrelevante Entscheidungen zu treffen (obgleich die Faktenlage doch eigentlich klar zu sein scheint).   

Passend hierzu ein Artikel von Bernhard Pörksen aus dem Spiegel. Er schreibt: 

Entscheidend ist aber, ebendies macht McKay begreifbar, eine andere Aporie, das super wicked problem unserer Zeit. Sie besteht darin, dass wir mit Krisen konfrontiert sind, die nichts so sehr brauchen wie kompetent einordnende Gatekeeper, wissenschaftliche und journalistische Instanzen, die mit der nötigen Expertise und Autorität sortieren, filtern und robustes Wissen von falschen Behauptungen trennen.
Und dass wir gleichzeitig in einer Medienumwelt leben, in der sich diese Expertise und Autorität so leicht wie nie zuvor ignorieren, marginalisieren und diffamieren lassen …

Einen Punkt im ansonsten sehr lesenswerten Pörksen-Beitrag möchte ich kritisch hervorheben. Er schreibt:

„Illusion Nummer zwei: Es geht ohne Wahrheit. Es ist an der Zeit, sich im akademischen Milieu beziehungsweise in den Geistes- und Kulturwissenschaften von radikal-konstruktivistischen Ideen und den Spielereien des postmodernen Denkens zu verabschieden. Und wieder mit anderer Verve um Gewissheit und Wahrheit zu ringen. (Nebenbei und in eigener Sache: mea culpa.) Das Konzept von Wahrheit im Sinne von robustem Wissen ist im öffentlichen Raum unverzichtbar, unabhängig von erkenntnistheoretischen Fundamentalfragen.“

… bin verwundert, dass Pörksen hier einen Gegensatz aufbaut (und sich auch noch entschuldigt). Erkenntnistheoretisch und -praktisch gibt es keinen Grund sich vom (radikalen, operativen …) Konstruktivismus zu verabschieden, um darauf zu kommen, dass es um robustes Wissen geht. Man könnte auch sagen, gerade weil Wirklichkeit konstruiert ist/wird, geht es darum Prozesse herbeizuführen, in denen man sich auf viable (also gangbare, passende, “robuste”) Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen von beobachtbaren Phänomenen einigt… Ein Insistieren auf Wahrheit stört womöglich eher und wirkt konfliktfördernd.

p.s.: … sicher werden wir dieses Thema auch anlässlich unserer Jahrestagung “Die Realisierung des Andersseins” am 1./2.Juli vertiefen!