Mehr als Mitarbeiterführung – die vier relevanten Ebenen der Führung

von Timm Richter, Torsten Groth

Gibt es Probleme in Organisationen, wird dieser Umstand oft und gerne mit „mangelhafter Führung“ in Verbindung gebracht. Dass so oft und so gerne Führung adressiert wird, hat einerseits mit einer zu diffusen Sicht auf Führung und andererseits mit einer zu engen, personalisierten Sicht auf die Führung von Führungskräften zu tun. Schon der Begriff der Führung ist in einer systemischen Perspektive verführerisch, er führt weg von dem, worum es hauptsächlich geht, der Überlebenssicherung von Unternehmen. Führungskräfte, Berater:innen und auch Führungskräfteentwickler:innen sind gut beraten, einen distanzierten Blick auf Führung als Funktion einzunehmen. Zunächst jedoch, zum Start des Nachdenkens über Führung, gilt es, das Feld der Führung abzustecken. In der Praxis ist es brauchbar und sinnvoll, vier Ebenen zu unterscheiden.

Zwei Verführungen

Der Begriff der Führung ist nicht neutral einzuführen. Er führt und verführt uns dazu, in den Organisationsalltag differenzierte, zumeist auch noch hierarchische Führungsverhältnisse reinzulesen. Wenn von Führung in Organisationen die Rede ist, werden wir dazu eingeladen, an Subjekte und Objekte der Führung zu denken; damit sind zwei Einheiten kreiert, von denen die eine die andere führen soll. 

Mit dieser ersten Einladung ist ein zweite eng verknüpft. Wer denkt bei Subjekten und Objekten der Führung nicht zugleich an Führungskräfte und Mitarbeiter mithin also an das, was man Mitarbeiterführung nennen kann? Nicht zufällig gilt das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen als Prototyp von Führung. Dieses Verhältnis ist weiterhin über disziplinarische Weisungsbefugnis definiert. Wer Vorgesetzter ist, ist eben anderen vor-gesetzt und kann von Arbeitsinhalte bis hin zu Karrieren bestimmen und bewerten. Und wo es Vorgesetzte gibt, gibt es Untergebene, die Empfänger von Weisungen sind. All dies ist mit einer Semantik eingekauft, die sich stark am Alltagsgebrauch von Führung orientiert. Man merkt dies auch in anderen Kontexten, es gibt Zugführer, Hundeführer, man hat einen Führerschein etc. 

Wird in dieser Sicht Führung zum Problem, ist das Feld an Lösungsmöglichkeiten eng begrenzt. Es geht um das Verhalten von Führungskräften, es geht um deren Art der Kommunikation mit dem Ziel der Verbesserung des Verhältnisses der Beteiligten. Viele Trainingsmaßnahmen zur Führungskräfteentwicklung spiegeln dieses Verständnis von Führung als Mitarbeiterführung. 

Angesichts neuerer Entwicklung zum „New Organizing“ könnte man jetzt einwerfen, dass dieses Denken über Führung nicht mehr zeitgemäß ist. Mit dem Fokus auf Hierarchie mag dies auch stimmen. Diese wird in neueren Organisationsansätzen oft formell abgeschafft, aber die Engführung auf das Miteinander bleibt. Es treten weiterhin Fragen der Beziehungsgestaltung zwischen Rollenträgern auf, so dass auch hier das Interaktionsgeschehen zwischen den Rollenträgern als Ort der Führung betrachtet wird. Wie wir zeigen werden, hat dieser Fokus seine Berechtigung, er spiegelt aber nur eine Ebene von mindestens vier Ebenen wider. 

Vier Ebenen der Führung

Welche sind also die relevanten Ebenen? – Neben der erwähnten Mitarbeiterführung sind dies:

  • die Selbstführung
  • die Führung in und von Teams und 
  • die Führung von Organisationen bzw. Organisationseinheiten.

Selbstführung: Die im wörtlichen Sinne naheliegendste Einheit, die man führen kann, ist die eigene Person – dies wird oft vergessen. Die Selbstführung ist ein wichtiger Ausgangspunkt, fordert sie einen doch dazu auf, eigene Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen sowie ihre Wirkung in der Organisation zu reflektieren: Wer bin ich, wann, in welchen Situationen? Was treibt mich und mein eigenes (Führungs-)Handeln an? Mache ich mich z.B. zum „Täter“ (also zum aktiv Handelnden) oder zum „Opfer“ (zum passiv Erlebenden) der Verhältnisse?  Schnell wird deutlich, es gibt immer vielfältige Möglichkeiten, wie man handeln kann und v.a. wie man dieses Handeln vor sich selbst (und anderen) begründet. Und es wird auch deutlich, Selbstführung findet immer in einem Kontext statt und ist nicht etwas, das bei Führungskräften zu sehen ist. In dem Maße, wie man sich selbst Verantwortung für sein eigenes Handeln zuschreibt, umso mehr ist man Gestalter anstatt Opfer der Umstände. Man könnte auch sagen: diese Verantwortungsübernahme ist Selbstführung.

Team-Führung: Ein angemessenes Verständnis von Führung kennt neben der Selbstführung und der als „klassisch“ betrachteten Mitarbeiterführung noch die Team-Führung. Spitzfindig könnten man meinen, ist das nicht das gleiche, sind Mitarbeiter und Teamführung nicht nur unterschiedliche Begriffe für ein und denselben Zusammenhang? Zugegeben, gemeinsam ist beiden Führungsebenen, dass sie personenorientiert sind und sich an Interaktionen unter (zumindest virtuell) Anwesenden orientieren. Und da es um Mitarbeiter und Teams in Organisationen geht, stellen sich in diesem Kontext immer Fragen der Beziehungen der Beteiligten zueinander: Wie stehen die Beteiligten zueinander, was denken sie über- und was erwarten sie voneinander. Aber der Fokus ist ein anderer: Bei der Mitarbeiterführung geht es um die konkrete, gegenwärtige Interaktionsgestaltung zwischen Führungskraft und Untergebenen. Bei der Team-Führung kommt das Team als ein eigenständiges System hinzu. Teams entwickeln eigene Dynamiken und Bedarfe, und der Fokus der Führung verschiebt sich hin zu dieser übergeordneten Überlebenseinheit. Was braucht das Team als Ganzes, wie kann ein Team die Anforderungen der Organisation erfüllen. Allein der Umstand, dass im Alltag der Team-Führung immer wieder auch Entscheidungen getroffen werden müssen zum Wohle des Ganzen, die für einzelne Teammitglieder Nachteile beinhalten, zeigt, wie wichtig es ist, die Team- von der Mitarbeiterführung konzeptionell und praktisch zu unterscheiden. Am Beispiel einer Fußballmannschaft lässt sich dies sehr leicht durchspielen. Ein Trainer oder eine Trainerin muss Entscheidungen so treffen, dass die Mannschaft am ehesten gewinnt (=>Teamführung) und er bzw. sie muss Qualitäten der Mitarbeiterführung aufweisen, dieses allen Beteiligten auf eine angemessene Art und Weise mitzuteilen.

Organisationale Führung: Kommen wir zur vierten Form der Führung. Vor allem wenn Organisationen größer werden, wird offenkundig, dass Teams nicht mehr die alles prägende soziale Form sind. Und deshalb sollte sich auch der Führungsfokus ein weiteres Mal verschieben. Jetzt tritt Organisation als Ganze auf den Plan und lässt noch weitere Führungsnotwendigkeiten erkennen. Organisationen sichern ihr Überleben in Märkten, kooperieren mit Lieferanten und Abnehmern, suchen immerzu nach Kunden bzw. Abnehmern. Organisationen folgen Logiken, die sich sehr stark von Team- und Mitarbeiterdynamiken unterscheiden; es geht nicht mehr um Kommunikation unter Anwesenden, denn Organisationen bilden Bereiche, Abteilungen, Stäbe etc. aus. Man könnte auch sagen, an die Stelle von Anwesenheitskommunikation treten Strukturen und Prozessen, deren Funktionieren führungsseitig im Blick zu halten ist. 

Deutlich sollte werden, mit dem Fokus auf die Organisation ändert sich auch die Führungsaufgabe. Nun geht es darum, eine intelligente Organisation zu gestalten, die unabhängig von einzelnen Personen sich intern so strukturiert, dass sie in ihrer Umwelt operieren kann. 

Mit den im Schaubild nochmals zusammengefassten vier Ebenen ist Führung u.E. angemessen erfasst. Es werden Aspekte mit hervorgehoben, die im Alltag nicht so prägnant erlebbar sind, die ggf. indirekter wirken, die, wie z.B. die Selbstführung, gerne ausgeblendet werden, oder die, wie z.B. die organisationale Führung im Fokus auf Führung von Mitarbeitern nicht gesehen werden. Die Kunst der Führung liegt darin, alle vier Ebenen für sich und ihrem Zusammenwirken zu beachten. Dies alles mag recht kompliziert klingen und gleich zu Beginn unserer Ausführungen auch überfordernd wirken, ist aber nichts anderes als eine Übersicht des Alltags, den viele Führungskräfte jeden Tag erleben. 

Vier Ebenen

Unser Online-Kurs

Das Ziel und Ansinnen unseres Kurses „Wirksam führen“ besteht darin, Schritt für Schritt das oft vorzufindende, enge Verständnis von Führung als Mitarbeiterführung zu erweitern. Das Auffächern in vier Ebenen ist dafür ein erster Schritt. Im Kurs wird es weiter gehen mit einer wichtigen Unterscheidung von Führung als Systemleistung (die keineswegs nur von Führungskräften ausgeübt wird und die nicht nur Mitarbeiter betrifft), mit Überlegungen, die stärker ein zirkuläres Zusammenspiel zwischen „Führung“ und „Geführten“ betonen und auch mit Vertiefungen der Frage, warum es weiterhin Führungskräfte braucht und wie diese wirksam werden können.

Mit allen Erweiterungsrichtungen werden u.E. viele tägliche, praktische und überlebensrelevante Fragestellungen der Führung erfasst. Auch aktuelle Diskussionen zum „New Organizing“, also zu agilen, selbstorganisierten, vermeintlich hierarchiebefreiten Arbeitsformen werden von dieser Erweiterung eines Führungsverständnis‘ profitieren. Ein kleine Seitenbemerkung hierzu: In vielen neueren Führungsverständnissen wird die Rollenbeziehung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen weniger betont, zum Teil auch kritisch gesehen, oder auch versucht zu vermeiden. Führungskräfte und Mitarbeiter, die sehr stark auf diesen personenbezogenen Aspekt von Führung fokussiert sind, sind oft verunsichert, fragen sich, welche Aufgaben sie denn (noch) haben, wie Führung stattdessen funktioniert etc. Wie zu zeigen sein wird, findet auch hier Führung statt, aber eben nicht rein personenbezogen bzw. disziplinarisch. Führung in Organisationen ist ein weites Feld, das Führungskräfte überblicken sollten. All dieses wird unserem Kurs behandelt.